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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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und anregend nach diesen endlosen Wochen ländlicher Einsamkeit und mühsamen Einerleis – die üblichen Faulenzer und Arbeiter vorfand, die üblichen Scherze, die üblichen Streitereien und die übliche Herzlichkeit. Eric Rauch begrüßte ihn und freute sich, als er hörte, dass er mit dem Roman so gut vorankam.«Das wär ja gelungen, wenn Sie dem Chef den Pulsifer-Romanpreis vor der Nase wegschnappen würden», kicherte er Vance ins Ohr. Vance machte große Augen und musste sich erst (streng vertraulich!) erzählen lassen, dass auch Tarrant an einem Roman arbeite, seinem ersten, und dass die wenigen engen Freunde, die ihn zu Gesicht bekommen hätten, prophezeiten, er werde den Pulsifer-Preis gewinnen, wenn auch vielleicht nicht nur aufgrund literarischer Verdienste.
    « Zum Glück ist es ein Preis für einen Erstlingsroman», schloss Rauch,«und somit sind Sie wegen ‹Anstatt› von der Teilnahme ausgeschlossen.»Dieser gerade noch abgewendete dramatische Wettbewerb zwischen dem Herausgeber der«Neuen Stunde»und ihrem berühmtesten Mitarbeiter schien ihm großes Vergnügen zu bereiten.
    Als Vance das«Cocoanut Tree»verließ, etwas später als beabsichtigt, begab er sich zu Frensides Wohnung, fand aber am Eingang über dessen Namensschild nur einen Zettel mit«Außer Haus». Nun kam ihm der eigentliche Zweck seines Ausflugs wieder in den Sinn: Er musste versuchen, von Dreck und Saltzer weitere zwei- oder dreihundert Dollar zu bekommen. Es widerstrebte ihm sichtlich, sie um einen zweiten Vorschuss zu bitten, und ihnen widerstrebte es nicht minder, einen solchen zu bewilligen. Der Kassierer erinnerte ihn freundlich daran, dass seit seiner letzten Anfrage noch nicht viel Zeit vergangen war. So etwas verstoße gegen die Abmachungen, aber wenn er zu Beginn des neuen Jahres vorbeikommen wolle, werde Mr Dreck vielleicht sehen, was sich machen ließe … Vance wandte sich ab, lief zurück in die Fifth Avenue und sah dort eine Weile dem vorbeiflutenden Verkehrsstrom zu, dem zähen Fluss, der sich durch diese ständig verstopften Arterien wälzte und sich ohne Unterlass hindurchgewälzt hatte, seit er hungrig und benommen bei seinem ersten Besuch daraufgestarrt hatte, oder später dann, als er voller Angst um Laura Lou und in Geldnöten verzweifelt gegen die Flut angekämpft hatte, um zu Mrs Pulsifer zu gelangen und sie um ein Darlehen zu bitten.
    Untätig stand er am Randstein und lächelte darüber, welche Illusionen er sich damals gemacht und wie wenig sich bis heute an seiner Notlage geändert hatte. Er war so arm wie eh und je, musste dieselben Bedürfnisse stillen, dieselbe Last tragen, und von den Illusionen war nichts geblieben. Nichts hatte sich in seinem Leben verändert, einzig der naive Glaube an die Großzügigkeit seiner Mitmenschen war verschwunden. Freilich, es gab seine Großmutter, deren Großzügigkeit keine Illusion war – nur ein Wort und sie hätte alle seine Schwierigkeiten auf sich genommen. Aber er war außerstande, dieses Wort auszusprechen. Und im Rest der Welt kannte er niemanden, der bereit gewesen wäre, sich einen erfolglosen Romancier aufzubürden.
    Er schlenderte die Fifth Avenue hinauf und ließ sich vom Lärm und Tumult bis zur Empfindungslosigkeit betäuben. Das kalte, kurze Tageslicht hatte sich in nächtlichen Lichterglanz aufgelöst. Vance ging hinüber zum Broadway und wanderte ziellos weiter, bis ihn von all den flackernden Lockrufen einer besonders grell anflackerte. Beethoven, die Fünfte Symphonie … Im vergangenen Winter hatte er sie zum ersten und einzigen Mal mit Halo Tarrant gehört … Nun gut, er würde sie sich wieder anhören, heute Abend und allein. Er betrat das Konzerthaus, kaufte die letzte Karte für den obersten Rang und ging noch einmal fort, um sich ein Sandwich und einen Becher Kaffee zu besorgen, bevor das Konzert begann. Der Abend war kalt, und der heiße Kaffee brachte sein Blut zum Summen. Musik, Wärme und Liebe … genau das brauchte ein Mensch, der jung war und hungrig und ein Dichter …
    Aus seiner Ecke ganz oben auf der Galerie konnte er, wenn er sich vorbeugte, die Parkettreihen sehen, wo er an jenem himmlischen Abend mit Halo gesessen hatte. Dumpf erinnerte er sich, dass sie gesagt hatte, es seien Abonnementplätze, ihr Mann nehme sie immer für den Beethoven-Zyklus, und sein Herz begann zu klopfen bei dem Gedanken, dass sie vielleicht dort saß, weit unter ihm, dass er vielleicht gleich ihren kleinen, dunklen Kopf und die weißen Schultern

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