Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
Vom Netzwerk:
von ihrer eigenen Familie nicht oft zuteil.»Sie blickte sich im Zimmer um.«Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr hier – ich weiß nicht, warum ich heute gekommen bin. Wenigstens wusste ich es bisher nicht …»Sie brach mit einem flüchtigen Lächeln ab, ließ ihren Blick auf ihm ruhen und wandte sich dann den Büchern zu.«Eines Tages», sagte sie, als redete sie mit sich selbst,«muss ich all meinen Mut zusammennehmen und sie rausziehen und ordentlich abstauben. »
    Vance stand ebenfalls auf und sagte eifrig:«Kann ich dann kommen und Ihnen helfen – ich meine, mit den Büchern? Ich … ich fände das prima.»
    Sie drehte sich zu ihm um, und aus ihren Augen blitzten Schalk und Koketterie.«Wegen der Bücher?»
    Er war viel zu sehr mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt, um zu erkennen, dass sie ihn provozierte. Er antwortete nur:« Ich habe nicht oft die Gelegenheit zu so etwas.»Sein Blick folgte dem ihren über die vollgestopften Regalfächer.«Ich war noch nie in einem Haus mit einer Bibliothek – einer echten Bibliothek wie dieser.»
    Sie zuckte kurz die Achseln.«Na ja, es ist eine komische Bibliothek, antiquiert wie das Haus. Immerhin scheint Cousine Elinor eine Vorliebe für gute Dichtung gehabt zu haben. Als andere Damen ‹Friendship’s Garland› 22 lasen, griff sie zu Coleridge. »
    Verwundert wandte er sich wieder ihr zu.«Wieso nennen Sie das eine komische Bibliothek?»
    « Nun ja, sie ist nicht gerade auf dem neuesten Stand. Wahrscheinlich ist sie ein Musterbeispiel für das, was man zu Lebzeiten meines Urgroßvaters die Bibliothek eines Gentleman nannte. Natürlich kamen mit jeder Generation Ergänzungen hinzu. Auch Cousine Elinor dürfte ziemlich viele Bücher gekauft haben.»Sie blickte sich prüfend um.«Immerhin bekommt The Willows dadurch so etwas wie eine Atmosphäre», schloss sie lächelnd.
    Vance lauschte, immer noch verblüfft. Ihre Anspielungen entgingen ihm, ihr Lächeln war für ihn unverständlich, aber er merkte, dass sie weder dem Haus noch den Büchern allzu große Bedeutung beimaß, und irgendwie ärgerte es ihn, dass sie als selbstverständlich betrachtete, was für ihn die Offenbarung einer unbekannten Welt war.
    Unwillkürlich senkte er die Stimme.«Ich bin zum ersten Mal in einem uralten Haus», sagte er, als verkünde er etwas von großer Bedeutung.
    « Ein uraltes Haus? The Willows?»Dieser Gedanke schien ihr neu.«Nun ja, alles ist relativ, wie schon der Philosoph Soundso sagte.»
    « Würden Sie es nicht als uraltes Haus bezeichnen?»
    Sie runzelte die dunklen Brauen und versuchte sich zu erinnern.« Lassen Sie mich überlegen. Gebaut hat es, glaube ich, Ambrose Lorburn, der Großonkel meines Vaters. Wann wird das gewesen sein?»Sie begann mit den Fingern zu zählen.«Sagen wir um 1830. Na ja, für Amerika ist das schon fast ein altes Haus, nicht wahr? Beinahe hundert Jahre!»
    « Und immer hat dieselbe Familie darin gewohnt?»
    « Ja, natürlich.»Sie schien erstaunt über diese Frage.«Der jetzige Eigentümer ist der erste, der nicht hier wohnt – armer Vetter Tom! Er hält es eigentlich für seine Pflicht, kann sie aber nicht erfüllen. Zum Ausgleich sorgt er dafür, dass alles unverändert erhalten bleibt.»Wieder musterte sie den trübseligen, düsteren Raum.«Über kurz oder lang», sinnierte sie,«werden sich wohl die Archäologen für das Haus interessieren. Es dürfte eines der besten noch existierenden Beispiele für ‹Hudson River Bracketed› sein, selbst in unserer erzkonservativen Gegend.»
    Für Vance redete sie noch immer in einer fremden Sprache, von der er nur hie und da einen Satz aufschnappte und auch den nur halb verstand.
    « ‹Hudson River Bracketed›?», wiederholte er.«Was ist denn das?»
    « Der Baustil der Eingeborenen in diesem Teil der Welt, wusstest du das nicht?»Ihr spöttisches Lächeln war zurückgekehrt, aber es machte ihm nichts mehr aus, denn er sah, dass es sich nicht gegen ihn richtete.«Ich merke schon», fuhr sie fort,«du bist nicht vertraut mit dem epochalen Werk von A. J. Downing über die amerikanische Landschaftsgestaltung.»Sie drehte sich zu den Bücherschränken um, ließ ihre Hand über ein Fach gleiten und zog einen Band in schwarzem Leinen mit einem vergoldeten Titel aus gotischen Lettern heraus. Ihre Finger flogen von Seite zu Seite, und ihre kurzsichtigen Augen folgten ihnen ebenso rasch.«Hier – das ist die Stelle. Sie ist zu lang zum Vorlesen; Mr Downing, die große Autorität jener Zeit, zählt hier die

Weitere Kostenlose Bücher