Ein altes Haus am Hudson River
wichtigsten Baustile auf, den griechischen, den chinesischen, den gotischen, den toskanischen oder italienischen Villenstil und – ‹Hudson River Bracketed›. Wenn ich mich nicht irre, führt er The Willows als eines der vollkommensten Beispiele für diesen Stil an (das war 1842) – ja, hier steht es: ‹Der Wohnsitz von Ambrose Lorburn Esq., The Willows bei Paul’s Landing, Dutchess County, N. Y., ist eines der glücklichsten Beispiele für … eine raffinierte Kombination aus chinesischen und toskanischen Stilelementen.› Stimmt genau! Was für einen Blick dieser Mann hatte! Und hier ist das Bild mit den Weiden und allem. Wie schön diese alten Stahlstiche sind … Schau, da stehen Großonkel und Großtante auf dem Rasen und zeigen einander voll Stolz und Bewunderung ihre weiß Gott gut sichtbare Blutbuche, ‹eine der ersten, die in den Vereinigten Staaten in einem Privatpark gepflanzt wurden›.»
Beide beugten sich über den Stahlstich, der das Haus genau so wiedergab, wie Vance es gerade erblickt hatte, nur dass die Weiden damals schlanke junge Bäume und die Rasenflächen gemäht waren, die unteren Fenster von gestreiften Markisen beschattet wurden und ein Gentleman mit Zylinder und Stock die Aufmerksamkeit einer Dame in Haube und Kaschmirschal auf die berühmte Blutbuche zu lenken suchte. Aus Miss Spears Tonfall konnte Vance nicht erkennen, ob in ihrem Kommentar zur Leistung ihres Ahnherrn der Stolz oder der Spott überwog, doch er ahnte dunkel, dass sie zwar über The Willows und Mr Downings Stellungnahme lachte, aber nichts dagegen hatte, dass das Haus in seinem Buch einen solchen Ehrenplatz einnahm.
« So», schloss sie mit einem Lachen,«nun weißt du, wie der Stil ‹Hudson River Bracketed› aussah und warum Onkel Ambrose Lorburn so stolz auf sein mustergültiges Haus war.»Sie reichte ihm den Band, warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, wandte sich um und nickte ihm von der Schwelle noch einmal zu.«Meine Güte, so spät schon! Ich muss die Tracy-Kinder aufstöbern und schauen, wie viel Geschirr sie zerteppert haben.»
Sie verschwand im geisterhaften Schatten des Esszimmers, und Vance hörte ihre Absätze hell durch die Halle und jenseits davon durch unbekannte Zimmer und Flure klappern. Er blieb regungslos sitzen, so wie sie ihn zurückgelassen hatte, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, das Buch noch immer aufgeschlagen vor sich, den Kopf zwischen die Hände gepresst, und ließ sich von der Fremdartigkeit des Ortes und der Stunde einhüllen wie vom schwächer werdenden Licht.
Es war schon dämmrig in dem ganz von Büchern gesäumten Zimmer, als er von Uptons tollpatschigen Schritten und einem Schlag auf die Schulter geweckt wurde.«Was ist denn mit dir los? Ich glaube, du hast tief geschlafen», spöttelte sein Cousin.
Vance fuhr erschrocken hoch.«Nein, ich bin nicht eingeschlafen. »Er sprang auf und blickte sich um.«Wo ist denn Miss Spear?»
« Miss Halo? Ach, hast du sie gesehen? Die ist schon lang weg. Ein Freund hat sie mit seinem Auto abgeholt. Ich weiß nicht, wo sie hingefahren sind. Sie bleibt nirgendwo länger als fünf Minuten. »Vance schwieg, und Upton fügte hinzu:«Jetzt komm schon, Laura Lou wartet. Höchste Zeit zuzusperren.»
Widerstrebend folgte Vance seinem Vetter. Als sie das Haus verließen, merkte er, dass er die Gelegenheit, jeden Winkel zu erforschen, nicht ergriffen hatte, sondern den ganzen Nachmittag in einem einzigen Zimmer gesessen und von dem, was es vielleicht in den anderen zu sehen gab, nur geträumt hatte. Aber so war es immer: Aus dem nichtigsten äußeren Anlass vermochte er einen Traumpalast zu erbauen, doch wenn er einmal versuchte, greifbarer Fakten in größerem Umfang habhaft zu werden, blieb ihm davon nur unbrauchbare Wirklichkeit.
7
An einem sommerlichen Spätnachmittag saßen drei Herren und zwei Damen auf der heruntergekommenen, verwitterten Veranda von Eaglewood.
Die Örtlichkeit zeigte deutliche Spuren einer behaglichen, aber wenig auf Ordnung bedachten Nutzung. Ein niederer Tisch war mit Teegeschirr gedeckt, die Teekanne von dem einen Fabrikat, die Tassen von einem anderen, dazwischen Teller mit Resten von altbackenem Kuchen und kaltem Toast. Von den Sesseln aus Weidengeflecht waren einige dienstuntauglich und mit einer Kordel repariert, aber auf allen lagen fröhlich gestreifte Kissen, die schon sichtlich unter Sonne und Regen gelitten hatten. Es gab Liegestühle mit zerschlissenen Plaids oder Indianerdecken, auf dem Boden lagen
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