Ein altes Haus am Hudson River
sagen wir, der Parthenon 23 .»
Wenn keine Gäste da waren, kam Lorry in seinem Monolog allerdings nur selten bis zum Parthenon, denn wie er wusste, kümmerte sich die Familie längst nicht mehr um seine Theorien zur Schönheit und dachte während seiner Tiraden an anderes – inzwischen tat das sogar der alte George Frenside, obwohl ihn die Paradoxa des Jungen früher offenbar amüsiert hatten.
George Frenside war der zweite Mann auf der Veranda. Da saß er hinter seiner nie verlöschenden Zigarre und blickte finster in die zarten Himmelsräume, als sei das, was er dort sah, eine Zumutung für die Menschheit; dennoch fragte sich Halo, ob diesen kleinen, eingesunkenen, hinter ihrem altmodischen Zwicker stets wachsamen Augen jemals etwas von dem, worauf sie ruhten, entging. Wahrscheinlich nicht; denn in gewisser Hinsicht war er empfänglich für Schönheit und hatte keine Angst davor wie Lorry. Doch damit sie ihn rührte, musste sie von Menschenhand gemacht, den störrischen Elementen von einem menschlichen Genie abgetrotzt worden sein. Sonnenuntergang und Wälder bedeuteten ihm nichts, wenn sie nicht einen Dichter oder Maler inspiriert hatten – vorzugsweise einen Dichter. Frenside sagte oft zu Halo:«Nein, mein Kind, bedenke, dass ich kein Vegetarier bin – eine rohe Landschaft kann man nicht verdauen.»Aber das hieß nicht, dass er sie nicht sah, dass er sie nicht mit seinem kühlen, klassifizierenden Blick in ihre Bestandteile zerlegte. George Frenside hatte für die meisten Dinge ein Auge, ihm entging nur wenig von dem kosmischen Schauspiel. Doch war für ihn die Schönheit der Erde etwas, was man zerlegen, katalogisieren und einordnen konnte, und nicht eine allumfassende Harmonie wie für das Mädchen, das neben ihm saß und in den irisierenden Sonnenuntergang zu ihren Füßen blickte.
George Frenside war eine Institution in Eaglewood oder wo immer die Spears ihre Zelte aufschlugen. Seine gedrungene, stämmige Gestalt, sein grübelnder Sokrates-Kopf, seine Zigarre und seine Brille zählten zu Halos frühesten Erinnerungen, und sie hatte ihn immer so gesehen wie jetzt: ältlich, arm und erfolglos und dennoch bestimmter und anregender als jeder andere Mensch, den sie kannte.«Ein Feuer, das alles wärmt, nur nicht sich selbst», so hatte sie ihn einmal bezeichnet, aber er hatte zurückgeblafft:« Ich wärme nicht, ich versenge.»
Keine schlechte Beschreibung seiner Beziehung zu den meisten Menschen; aber sie, die ihn so gut kannte, wusste auch um das offenherzige Glühen, dass er ausstrahlen konnte, und fragte sich oft, warum es nie seinen eigenen Weg erleuchtet hatte.
Frensides Erklärung dafür war ihr vertraut: Die Begabung für Kritik war stärker als alles andere in ihm, und die Kritik ernährt ihren Mann nicht, wie er oft sagte. Er sah (und benannte) den Kern der Dinge und der Menschen; er war ein wandelndes Röntgengerät. Er war es weiß Gott nicht gern; er hätte lieber einen weniger zersetzenden Verstand besessen. Aber der war ihm nun einmal gegeben und hatte ihn um den eigentlichen Erfolg gebracht. Er hatte verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften wütende Analysen politischer und literarischer Ideen geliefert, sich oft geweigert, einen erbetenen Artikel zu schreiben – vor allem dann, wenn ihm dafür ein ansehnliches Honorar geboten wurde –, und dann plötzlich eine brillante Hetzrede hingeworfen, die keiner haben wollte und die ihm ein Redakteur nach dem anderen zurückschickte. Er hatte vor vielen Jahren einen schmalen Band mit Essays geschrieben, betitelt«Nüchterne Betrachtungen», der im überschaubaren Kreis der Gebildeten beachtliche Erfolge gefeiert hatte und in England begeistert rezensiert worden war. Dies führte zu dem erfreulichen Angebot eines Verlegers, der Frenside um ein revolutionäres Buch über Erziehung bat, ein Thema wie geschaffen für ihn. Der Gedanke gefiel ihm, er brauchte das Geld dringend, noch nie hatte ihm jemand eine so große Summe angeboten; doch er war wie paralysiert von dieser makellosen Chance. Irgendwann fiel ihm ein witziger Titel ein,«Die Kunst, Nichtwissen mitzuteilen», und das war auch schon die einzige Zeile, die er jemals für dieses Buch schrieb.
« Das sicherste Anzeichen für Genie besteht darin, dass man selbst dann sein Bestes geben kann, wenn man dafür bezahlt wird», sagte er zu Halo.«Ich habe nur Talent, und die Vorstellung, ein Buch auf Bestellung zu verfassen, hat mich einfach gelähmt. Was in drei Teufels Namen soll ich anderes
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