Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
Vom Netzwerk:
glaubtest es nur, flüsterte ihr Lächeln zurück und brachte ihn zum Schweigen. Wie kannst du nur annehmen … (sagte ihr Lächeln) … und überhaupt, welchen Sinn hätte das? Ich kann doch nicht zulassen, dass du meinen Bruder ins Spiel bringst, merkst du das nicht? Vance fühlte sich bezwungen und gezähmt … Er konnte ihr nicht wehtun … nein. Ihm war, als sei er mit ihr in einem geheimen Kreis aus Verstehen und Einvernehmen eingeschlossen.
    « Natürlich, ein Bettler ist irgendwie eingebrochen und hat die Bücher gestohlen», hörte er sie wieder mit frischer Kraft beginnen.« Komm, Vetter Tom, wozu noch länger bleiben? Es regt dich nur auf… Das ist nun Sache der Polizei.»
    Sie streckte Vance die Hand hin.«Entschuldige – aber ich musste dich bitten zu kommen.»
    Natürlich, sagte er, das verstehe er … aber eigentlich verstand er nur, dass sie ihn in einem Netz aus unausgesprochenen Verpflichtungen gefangen hatte. An der Tür wandte sie sich noch einmal um.«Wir sehen dich doch bald wieder in Eaglewood? Versprich es mir …»
    Aber er wollte ihr nicht noch einmal etwas versprechen.«Ich weiß es nicht. Ich fahre jetzt nach New York … Vielleicht muss ich nach Hause zurück …»
    Mr Lorburn war die Stufen hinuntergegangen und schwankte die Auffahrt entlang. Miss Spear blickte Vance an.«Ja, geh», sagte sie rasch,«aber komm eines Tages wieder.»Ihr Gesicht leuchtete vor Erleichterung wie von der Sonne beschienen; einen Augenblick lang erinnerte sie ihn an das Mädchen auf dem Gipfel.«Vergiss mich nicht», sagte sie und drückte seine Hand. Sie entriegelte das Tor und sprang hinter Mr Lorburn ins Auto. Vance beobachtete, wie sie davonfuhren. Dann ging er langsam die Straße hinunter, ohne sich noch einmal nach dem alten Haus umzudrehen. Er war todunglücklich, gedemütigt und beschämt, wie damals in Crampton, als er seinen Großvater am Fluss hatte entlangschleichen sehen.

14
    Vance Weston war von Euphoria mit zweihundert Dollar aufgebrochen; zu dem, was davon übrig war, kam noch das Geld, das Mrs Tracy ihm beim Abschied aufgedrängt hatte. Nachdem er eine Weile im Zug gesessen hatte, wie betäubt vom Schrecken der letzten Stunde in The Willows, hielt er sich vor Augen, dass er von nun an vom Rest dieser Barschaft leben musste, und er zog das Geld heraus und zählte es. In New York hatte er am Tag des Baseballspiels für Upton eine Armbanduhr zu zehn Dollar gekauft und für Laura Lou einen regenbogenfarbenen Schal, als Trost, dass sie nicht hatte mitkommen können; der Schal hatte, so meinte er sich zu erinnern, drei Dollar fünfundsiebzig gekostet. Am Vorabend des unseligen Ausflugs hatte er Lorburn Spear zehn Dollar geliehen, und während des Spiels und nachher bei den Crans mehrmals die Getränke bezahlt, darunter auch Schnaps. Ihm fiel ein, dass die Burschen unter viel Gelächter und Gewitzel zusammengelegt hatten, um den Cran-Mädchen einen neuen Wachhund zu kaufen, und gute Wachhunde waren anscheinend ziemlich teuer. Trotzdem war er unangenehm überrascht, als er merkte, dass ihm nur noch zweiundneunzig Dollar geblieben waren, einschließlich des Geldes von Mrs Tracy. Er wusste nicht mehr, wo der Rest hingekommen war, denn an die Geschehnisse bei den Crans erinnerte er sich nur undeutlich.
    In Euphoria wäre er mit neunzig Dollar weit gekommen. Wie weit er damit in New York kommen würde, wusste er nicht – sicher sehr viel weniger weit. Er wusste nicht einmal, wohin er sich wenden sollte, wenn er aus dem Zug stieg, wo er eine Bleibe für die Nacht finden sollte. Im Zug saßen Leute, die ihm zweifelsohne hätten weiterhelfen können, freundliche, erfahren wirkende Leute, aber es war kein vertrautes Gesicht darunter, und ländliches Misstrauen hielt ihn davon ab, Fremde zu fragen, wenn er in eine Großstadt kam. Als der Zug in die Grand Central Station einfuhr, erkundigte er sich schnell noch bei dem schwarzen Schaffner, und nachdem dieser ihn wohlwollend gemustert hatte, gab er ihm eine Adresse in der Nähe des Bahnhofs. Vance fand dort ein Hotel, ein schmales, zwischen Hochhäusern eingezwängtes Backsteingebäude mit einem schäbigen, schwarz-goldenen Schild über der Tür. Es sah trostlos und ziemlich unappetitlich aus, dennoch kosteten das Bett und der Kaffee am nächsten Morgen so viel, dass er sich keinesfalls eine weitere Nacht dort leisten konnte, und so brach er früh auf, um sich eine Pension zu suchen.
    Der lärmende, rasende Verkehr, die schreienden Reklameschilder, die

Weitere Kostenlose Bücher