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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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zahllosen prächtigen Geschäfte lenkten ihn von seinem Vorhaben ab, und stundenlang strolchte er neugierig von einer Straße zur nächsten. Bei diesem Tumult aus Leben, Reichtum und Energie, diesem endlosen Strom von immer noch mehr Menschen, mehr Lärm, mehr Autos, mehr Läden voller verführerischer, teurer Sachen erwachte in ihm eine objektive, scharfsichtige, von Innenwelt und Herz getrennte Beobachtungsgabe. Es müsste doch Spaß machen, einen Roman über New York zu schreiben, mit dem Titel«Zaster» – und er begann sich auszumalen, wie anders das Leben an diesem Morgen aussähe, wenn er das Typoskript des fertigen Romans unter dem Arm trüge und zur Redaktion einer großen Zeitschrift unterwegs wäre. Einen Augenblick lang wischte dieser Gedanke alles Weh und alle Einsamkeit beiseite, und sein Herz weitete sich vor Aufregung.«Warum auch nicht … Ich bleibe hier, bis ich ihn geschrieben habe», schwor er sich in fiebrigem Aufbegehren.
    Er blieb vor einem Schaufenster mit Blumen stehen, die in vergoldeten Körben präsentiert wurden oder mit riesigen rosa Schleifen zu Sträußen gebunden waren. Das Geld, das Mrs Tracy ihm zurückgegeben hatte, brannte ihm in der Tasche, er wollte es keine Minute länger behalten. In einer Ecke des Fensters sah er ein Arrangement, das ihm besonders gut gefiel: eine ausgestopfte Taube auf dem vergoldeten Henkel eines Korbes mit Wicken und Frauenhaarfarn. Das erinnerte ihn an Miss Spears Beschreibung jenes Apollontempels in Griechenland, der von Vögeln und Bienen erbaut worden war, und mit einem Blick auf den blanken Hals der Taube dachte er:«Das hätte einer dieser Vögel sein können.»Im Laden stand eine gutmütig wirkende Frau, sodass er wagte, sich nach dem Preis des begehrten Gegenstands zu erkundigen. Sie lächelte ein wenig, als wundere sie sich.« Na ja, das kostet fünfundzwanzig Dollar.»
    Vance wurde puterrot.«Ich suche nach etwas für dreißig Dollar.»
    « So?», antwortete die Frau, noch immer lächelnd.«Gut, da drüben haben wir diese Nelken.»
    Die Nelken interessierten Vance nicht, ihn lockte der Vogel auf dem Korbhenkel.«Laura Lou würde er jedenfalls gefallen», dachte er. Und plötzlich kam ihm eine Idee. Er fragte die Frau, ob sie für dreißig Dollar den Korb noch an diesem Vormittag in das Haus einer Dame in Paul’s Landing bringen lassen könne. Sie schaute noch verwunderter drein, dann belustigt, und nachdem sie Paul’s Landing im Telefonbuch ausfindig gemacht hatte, sagte sie, ja, das werde wohl gehen. Erfreut zog Vance dreißig Dollar heraus sowie seinen Füller, um die Adresse aufzuschreiben. Sie schob ihm eine Karte hin, und nach einer Sekunde der Ratlosigkeit schrieb er:«Danke, Cousine Lucilla», adressierte den Umschlag und ging leichteren Schritts wieder hinaus. Die Frau hatte bereits begonnen, die Taube einzuwickeln.
    Allmählich bekam er Hunger, und sein Instinkt, sich an das einigermaßen Vertraute zu halten, zog ihn wieder zur Grand Central Station, wo er, wie er wusste, etwas zum Mittagessen finden würde. Am Eingang rannte er fast gegen eine mütterlich aussehende Frau mit einem großen gelblichen Gesicht und zerzaustem grauem Haar. Sie trug eine Militärmütze aus Filz mit einem Band, dessen Inschrift«Freund der Reisenden»lautete. Vance ging zu ihr, und ihr gutmütiges Lächeln beruhigte ihn bereits, bevor er etwas gesagt hatte. Er suche eine nette, ruhige Pension? Aber natürlich, dazu sei sie ja da. Ein Junge vom Land offenbar? Da könne er seine Sachen gleich ins«Freundschaftshaus »hinüberbringen, nicht weit von hier, in der East Fiftieth Street – sie kramte in ihrer Tasche und reichte ihm eine Karte mit der Adresse, über der in roten Buchstaben stand:
    « BRING DEINEN FREUND MIT –
DER HAT AUCH NOCH PLATZ.»
    Das sei das Männerheim, erklärte sie, sie selbst kümmere sich am Bahnhof um Frauen und Mädchen, für die gebe es ein zweites Haus nicht weit weg; aber Vance brauche Mr Jakes nur ihren Namen zu nennen, dann werde man schon ein Zimmer für ihn finden und ihm die Adressen von ein paar anständigen Pensionen geben. Sie schüttelte ihm die Hand, strahlte ihn mütterlich an und wandte sich einer abgezehrten, verstört aussehenden Frau zu, die klagte:«Mein Mann hat gesagt, er holt mich ganz sicher am Bahnhof ab, aber ich finde ihn nicht, und das Kind hat sich im Zug die ganze Nacht erbrochen …»
    Im«Freundschaftshaus»wurde Vance von einem liebenswürdigen Mann mit Goldzähnen empfangen, erhielt ein Abendessen

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