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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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seinen eigenen tiefinneren Überzeugungen deckte. Ihm war es immer so vorgekommen, als hätten Zeitungen, wie er sie kannte, überhaupt nichts mit Literatur zu tun, wie er sie sich erträumt hatte und wie es sie, das wusste er ja jetzt, wirklich gab. Aber hatte Frenside recht – hatte er selbst recht? Alle sagten doch immer:«Wenn einer schreiben will, gibt es keine bessere Ausbildung als die Arbeit bei einer Zeitung. Da lernt man, keine Zeit zu verlieren, gleich zur Sache zu kommen und die Dinge klar und schwungvoll zu formulieren, sodass sich der Leser nicht langweilt …»Ah, wie er all diese hochgelobten Fähigkeiten verabscheute! Was ein Zeitungsmann wie zum Beispiel Bunty Hayes Zeitverschwendung nannte, war für Vance eine Grundvoraussetzung des schöpferischen Prozesses. Er konnte sich nicht vorstellen, etwas zu Papier zu bringen, was nicht zuvor langsam am Horizont seines Bewusstseins emporgestiegen war, was er nicht erst unendlich behutsam aus jenem geheimen Teich des Daseins gefischt und geangelt hatte, von dem er bisher nur wusste, dass tief unten manchmal etwas Lebendiges, aber Unsichtbares umherschoss … Und dieser Frenside, den er nicht mochte, dessen Benehmen ihn verletzte, dessen Ansichten instinktiv seinen Widerspruch heraufbeschworen, hatte dennoch in diesem einen Satz sein eigenes dunkles Gefühl zusammengefasst.« Setzen Sie sich hin und schreiben Sie.»Ja, er hatte immer gespürt, das war der einzige Weg. Aber dazu musste ein Mensch Ruhe und genug zu essen haben, einigermaßen frei von materiellen Sorgen sein, und wie sollte er das erreichen? Er wusste es nicht, aber er war für die von Frenside gelieferte Parole so dankbar, dass ihm alles andere nicht mehr so wichtig erschien – die Herabsetzung seiner Gedichte, das Achselzucken zu seinem Roman oder die arrogante Behauptung, dass seine Bestrebungen unweigerlich denen jedes anderen jungen Idioten glichen, der sich einem Redakteur mit einem ersten Bündel Manuskripte vorstellte. Er ging langsam heim in seine Pension, ohne zu wissen, was er jetzt tun sollte, aber mit dem Gefühl, dass die Finsternis zumindest nicht undurchdringlich war.
    Sein erster Impuls war, den ganzen Papierstapel noch einmal durchzusehen, ihn in diesem neuen, schwachen Licht zu betrachten. Er überflog die Seiten seines Romans, fand sie noch formloser und hilfloser als befürchtet, und ihm fiel ein weiterer stimulierender Satz von Frenside ein, sein kurzes«Das hab ich mir gedacht»als Antwort auf Vance’ Geständnis, dass er sich an einem Roman versuche, und dann der Befehl:«Wenn Sie mal eine Kurzgeschichte geschrieben haben, schicken Sie sie mir.»Wie schade, dass er so etwas noch nie versucht hatte, stattdessen nur diesen unmöglichen, unbeholfenen Roman. Während er so dasaß und mit den Bruchstücken lebloser Prosa herumspielte, lag seine Hand plötzlich auf einem Dutzend getippten Seiten, die zusammengeheftet und an den Rändern ein wenig ausgefranst waren. Auch die hatte er dabeigehabt, das hatte er ganz vergessen.«Ein Tag» – das Zeug, das er wie im Wahn niedergeschrieben hatte, nach seiner Krankheit, als er den Revolver seines Vaters nicht fand. Wie lange war das her! Wochenlang hätte er diese Seiten nicht anschauen, ja kaum anfassen können, und jetzt betrachtete er sie mit einem Blick, der fast so objektiv war wie der von George Frenside.
    Eine Kurzgeschichte konnte man es eigentlich nicht nennen. Es war nur der ungestüme Erguss dessen, was er in diesen wenigen Stunden empfunden und gelitten hatte – wie wenn ein zu Boden geschlagener und mit Füßen getretener Mann zu beschreiben versucht, wie sich so etwas anfühlt. Das war alles. Aber irgendwie bewegten sich diese Sätze, die Worte wirkten lebendig – wenn er es noch einmal hätte schreiben müssen, hätte er es wahrscheinlich nicht viel anders geschrieben. Es war im Grunde unbedeutend, dennoch spürte er, dass es etwas Eigenes war, nicht das Werk von anderen, wie der Roman. Plötzlich packte es ihn: Er wickelte das Manuskript ein, adressierte es an Frenside, setzte Namen und Anschrift darunter und trug das Päckchen wieder zur Redaktion der«Stunde». Er besaß nicht den Mut, damit hineinzugehen, sondern ließ es in den Briefkasten gleiten und ging wieder fort.
    Drei Tage später – von seiner Woche waren nur noch zwei Tage übrig – kam er nachmittags heim und fand in seinem Zimmer einen Brief, den man ihm unter der Tür durchgeschoben hatte. Auf einer Umschlagecke prangte der Stempel«Die

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