Ein altes Haus am Hudson River
Rücken zugewandt hatte. Ein breites, bis zum Boden gezogenes Fenster nahm fast die ganze östliche Seite des Zimmers ein; die anderen drei Wände waren in einem nüchternen Graugrün gestrichen, was man nur in den Lücken zwischen den Bücherregalen sah. Halo Tarrants Verbindung zu dem bodenständigen alten Haus in Eaglewood hatte sie vor flüchtigen modischen Extravaganzen bewahrt. Das Zimmer verdankte seine Atmosphäre dem Blick aus dem Fenster, den Büchern an den Wänden und den einladend gruppierten Sesseln und Lampen. Es schien Experimente weder auszuschließen noch zu suchen, sondern existierte außerhalb der Flut kurzlebiger Neuheiten, ruhig und natürlich wie ein Baum oder ein Feld.
Frenside sagte nichts mehr, und Halo wanderte durchs Zimmer, blieb stehen, um auf dem großen, mit Büchern beladenen Tisch geistesabwesend einen Brieföffner auszurichten. Dann wanderte ihr Blick zu einer Ölskizze von ihrem Mann, die Vuillard 46 in Paris im ersten Jahr ihrer Ehe gefertigt hatte: nur der Kopf, halb abgewandt, mit der schmalen, sensiblen Nase, dem – bis heute unzufriedenen – Mund und der außergewöhnlich hellen Haar- und Hautfarbe, die Tarrant stets aus der Menge heraushob, noch ehe seine feinen Gesichtszüge zu erkennen waren. Halo stand vor dem Bild, die Hände auf dem Rücken, und wanderte im Geiste den Weg zurück, den er und sie gegangen waren.
« Und?», fragte Frenside.
Sie drehte sich zu ihm um.«Ich dachte gerade, welch ein Glück, dass ‹Die Stunde› zufällig zu verkaufen war und ich es gewagt habe, Lewis zum Kauf zu drängen. Das wird genau die Art von Arbeit sein, die er mag. Ich wünschte nur, du würdest dabeibleiben, Frenny.»
Frenside schüttelte den Kopf.«Lieber nicht. Ich stehe immer als Berater zur Verfügung, wenn er einen braucht. Aber was fehlte, war frisches Blut. Wir werden sehen …»
Halo blickte ihn ein wenig beunruhigt an.«Was sehen?»
« Was er daraus macht.»
Ihr Mund öffnete sich wie zu einer raschen Erwiderung, dann schloss er sich wieder, und sie ließ sich mit einem kleinen Achselzucken in ihren Sessel fallen.«Natürlich wird er Fehler machen …»
« Natürlich. Aber das wirkt manchmal belebend.»
« Bei einem Mann wie Lewis», warf sie ein,«der fast zu viel Geld und entschieden zu viele Begabungen hat, ist die große Frage, wie lässt sich beides kanalisieren, nicht wahr? Er hat sich noch nie entscheiden können, hat noch nie etwas gefunden, was wirklich zu ihm passt. Dies aber passt, glaube ich; das wird seine zerstreuten Neigungen bündeln und ihn an die Arbeit fesseln, wie vages Pflichtgefühl es niemals könnte.»
« Pflichtgefühl ist etwas Prähistorisches, meine Teure. Selbst der Gedanke, der in den Neunzigerjahren noch so verrückt und verwerflich schien, dass wir nämlich in erster Linie uns selbst verpflichtet sind, lockt heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen vor. Aber ich wage zu behaupten, dass Tarrant ein Weilchen bei der Sache bleiben wird …»
« Oh, du unterschätzt ihn!», brauste Halo auf und erhob sich nervös wieder aus ihrem Sessel. Die Leute hatten schon recht: Frenside mit seinen Ermutigungen glich einem Arzt, der sagt:« Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.»
Aber kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, ärgerte sie sich über sich selbst. Sie musste keine Lanze für ihren Mann brechen, das war nicht nötig. Jedermann wusste, dass Lewis brillant und klug war – selbst wer sich von seiner Gleichgültigkeit und seinem Mangel an Begeisterung abgestoßen fühlte, erkannte seine Überlegenheit an.«Ein Bursche, der sich einen Namen machen wird, mein Schwiegersohn», beschrieb ihn Mr Spear, wenn er sich in der gemütlichen kleinen Wohnung, die Lewis seinen Schwiegereltern zur Verfügung gestellt hatte, behaglich in seinen Sessel zurücklehnte und seine Corona paffte, eine von den tausend, die Lewis ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Dass er in der Lage war, Eaglewood in den Wintermonaten zu entfliehen, ließ Mr Spear die menschliche Natur in wesentlich vorteilhafterem Licht sehen und hatte seiner Bewunderung für Halos Mann zusätzlichen Glanz verliehen.«Wer Tarrants Fähigkeiten nicht erkennt, ist einfach nur neidisch!»Ach, wie liebte Halo ihren Vater für diese Worte! Des armen Frenside angeborener Mangel an Großzügigkeit hinderte ihn immer daran, anderen den Erfolg zuzutrauen, der ihm selbst verwehrt geblieben war, Mr Spear hingegen war jetzt, da er und seine Frau in New York einen eigenen Schlupfwinkel besaßen und
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