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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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geradezu notwendig, reichlich Geld zu haben, um die Lebensmaschinerie zu ölen und immer wiederkehrende Familienstreitigkeiten oder Schlimmeres zu verhindern. Aber einen Preis gab es, den sie auch dafür nicht zu zahlen bereit war. Dieser Preis war sie selbst, ihre Persönlichkeit, wie die Menschen in ihrer Umgebung gesagt hätten, jenes Etwas, das aus ihr Halo Spear machte und niemand anderen. Von diesem Etwas, so sagte sie sich oft, würde sie niemals ein Jota abtreten.
    Wenn sie jetzt, nach drei Jahren, zurückblickte, erinnerte sie sich noch gut an die irritierte Miene des alten Tom Lorburn, als sie an dem Tag, da der Verlust der Bücher entdeckt wurde, mit ihm The Willows verließ. Damals hatte sie sich gesagt:«Jetzt wird er sein Testament ändern», und gleich darauf:«Aber deswegen ändere ich noch lange nicht meinen Entschluss bezüglich Lewis.»Denn obwohl ihre Hoffnung auf ein Erbe nun dahin war, gedachte sie nicht, dieses Pech wettzumachen, indem sie Lewis Tarrant heiratete. Sie war überzeugt, dass sie jedem Mann, den sie aus einem solchen Grund heiratete, das Leben unerträglich machen würde, und Lewis war ein guter Kerl, zu gut, um ihr zum Opfer zu fallen. Es war natürlich schade – denn Vetter Tom starb innerhalb weniger Monate; er hatte tatsächlich sein Testament geändert und hinterließ The Willows einer fernen Verwandten, die damit ebenso wenig anfangen konnte wie er. Es war ein schwerer Schlag für Mr und Mrs Spear. Da Lorry dazu ausersehen schien, sie zu ruinieren, hatten sie es immer als Halos Bestimmung betrachtet, ihre Finanzlage zu stabilisieren. Niemals hätten sie von ihr verlangt, dafür ihr Glück zu opfern, aber sie sagten (und beriefen sich dabei auf andere Paare), in der Ehe seien, sobald der erste Rausch vorüber, ähnlicher Geschmack und ähnliche Interessen – wie zum Beispiel bei ihr und Lewis – der einzige Garant für Glück.«Ich weiß, aber ich will den ersten Rausch», erwiderte Halo im Stillen darauf, und zu Lewis sagte sie lächelnd, doch entschlossen:«Wenn ich dich heiratete, würdest du mich einen Monat später umbringen wollen. »
    Dennoch war sie nun seit fast drei Jahren seine Frau, und sie hatten einander nicht nur am Leben gelassen, sondern waren sogar zu einer Art Einvernehmen gelangt, und wenn man Halo plötzlich aufgefordert hätte, das Haus ihres Mannes aufzugeben und zu der unsicheren Existenz von Eaglewood zurückzukehren, hätte sie gezögert, und nicht nur seinetwegen. Die Gewohnheit hatte ihr lähmendes Netz um sie gewoben, und sie war nicht mehr das Mädchen von einst, wie auch er nicht mehr der Mann war, den sie in ihm gesehen hatte …
    « Glücklich?», sagte sie eines Tages mit ihrem schmalen Lächeln zu Frenside.«Nein, glücklich bin ich nie gewesen, aber ich bin zufrieden. Und Zufriedenheit ist etwas so Hübsches, dass ich manchmal denke, das Glücklichsein hätte ich gar nicht ausgehalten …»
    « Ja, es ist eine vernichtende Erfahrung», pflichtete Frenside ihr bei.
    Keine Sekunde lang hätte sie einem anderen Menschen gegenüber zugegeben, dass sie in ihrer Ehe nicht glücklich war, denn niemand außer Frenside hätte begriffen, dass Leben«stark ist und wächst auch ohne Lieb und Freud» 45 . Aber das Geständnis erleichterte sie; es führte sie aus einer Welt erstickender Heuchelei in frischere Luft. Sie sah ihn neugierig an, seine bucklige, sorgenzerfurchte Stirn über der dicken, stumpfen Nase und dem ironischen Mund, die hinter der ewigen Brille verbarrikadierten Augen, die ganze schwerfällige, schäbige Gestalt.« Dennoch spricht er vom Glück, als hätte er es kennengelernt, der arme, alte George.»Fast hätte sie ihn gebeten:«O Frenny, sag mir, wie es ist!»Doch obwohl sie früher auf jedes neue Rätsel unerschrocken zugegangen war, wich sie vor diesem zurück.« Jeder von uns hat wohl seine eigene Sphinx», dachte sie. Aus ihr war ein Feigling geworden, zweifellos.
    « Das Leben ist irgendwie so vollgestopft, findest du nicht?», fuhr sie ausweichend fort.«Oft denke ich, mehr ließe sich gar nicht hineinpacken, nicht einmal das Glück.»Sie lachte leise, erhob sich aus dem Polstersessel vor dem Kamin, ging durch die Bibliothek und blickte hinaus auf die weite Fläche des East River, der von tief unten, aus einem Wald von Dächern, Spitztürmen und Kaminen, durch den herbstlichen Dunst glitzerte. Die Wohnung der Tarrants lag hoch oben in einem der neuen Gebäude mit der beeindruckenden Aussicht, der New York bis vor Kurzem den

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