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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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die schlampigen, ältlichen Konformisten um sich versammeln konnten, die Mrs Spear noch immer als Revolutionäre bezeichnete – Mr Spear also war tolerant und sogar wohlmeinend geworden. Er schrieb zwar noch immer Leserbriefe, um sogenannte verheerende Missstände anzuprangern, wie zum Beispiel die Tatsache, dass der Verzehr von Vollkornbrot nicht zwingend vorgeschrieben wurde («Wenn ich hierzu etwas aus meiner eigenen unmaßgeblichen Erfahrung beisteuern darf», hieß es in solchen Briefen immer) oder dass man noch nichts zur automatischen Desinfektion der Blechbecher an den öffentlichen Trinkhähnen erfunden hatte. («Ein Beispiel für diese sträfliche Vernachlässigung findet sich keine hundert Fuß 47 von meiner eigenen Tür entfernt», hieß es in diesem Fall – womit Mr Spear durchblicken ließ, dass er in New York eine eigene Tür hatte.) Aber dies alles diente eher einer Art literarischen Übung als dazu, flammender Empörung Erleichterung zu verschaffen; nun, da sich sein Leben zu seiner Zufriedenheit verändert hatte, fand Mr Spear, jeder solle seine Beschwerden selbst vorbringen.«Schließlich muss man auch die Behörden verstehen», hatte er angeblich schon gesagt und dabei über den Esstisch seiner Tochter hinweg nachsichtig gelächelt; und wenn Mrs Spears kurzhaarige Trabanten («sexuell unterernährte Frauen»laut Mr Spear) ihn nicht immer wieder aufgefordert hätten, zur Feder zu greifen, um diese oder jene Ungeheuerlichkeit ans Tageslicht zu zerren –«Wirklich, Mr Spear, Sie können das so wundervoll formulieren!» –, dann wäre die Tinte in seinem Waterman 48 eingetrocknet.
    Auf Mrs Spear hatte sich der Wohlstand anders ausgewirkt. Er hatte sie noch empörter, noch erregter, noch ausgemergeltschöner gemacht. Während sich um Mr Spears Taille ein molliges Polster ansammelte, hingen seiner Frau die Kleider noch schlottriger von den hängenden Schultern und rastlosen Armen. Wie sei es möglich, fragte sie ihre Tochter, wo es doch so viel Elend in der Welt gebe, dass die vom Glück Begünstigten nicht alle Kraft aufböten, um …?
    « Du hast deine schon vor langer Zeit bis zur völligen Erschöpfung aufgeboten, Mutter, und trotzdem geht es in der Welt unverändert barbarisch zu.»
    « Halo! Ich kann es nicht ausstehen, wenn du George Frensides billigen Zynismus nachbetest. Solange ich noch eine Stimme habe, mit der ich protestieren kann, werde ich die menschliche Grausamkeit in all ihren Formen anklagen.»Mrs Spear hatte soeben auf einem Flugblatt gelesen, dass die Trüffelschweine im Südwesten Frankreichs ihre Arbeit mit Maulkorb verrichten und niemals auch nur das kleinste Stückchen der Delikatessen fressen dürfen, die sie da ausbuddeln. («Das will ich hoffen», murmelte Mr Spear und entfaltete angesichts der nahenden Krabbenmayonnaise seine Serviette,«und überhaupt, in dem Rohzustand, in dem die armen Tiere sie zu fressen bekämen, würden sie wahrscheinlich wie alter Radiergummi schmecken.») Und George Frenside fügte mit einem boshaften Glitzern hinter seiner Brille hinzu:«Noch viel schlimmer erscheint mir das Schicksal der Kormorane im Chinesischen Meer. Die Chinesen richten sie nämlich zum Fischefangen ab, sie tragen sie auf dem Handgelenk wie Falken.»
    « So?», ächzte Mrs Spear in banger Ahnung.
    « Und kein Kormoran bekommt jemals einen Fisch zu kosten, noch viel weniger Krabbenmayonnaise», sagte Frenside grinsend mit einem Seitenblick auf Halo.
    Die Erinnerung an diese kleine Szene blitzte Halo durch den Kopf, als sie zu Vuillards Skizze von ihrem Mann aufblickte. Sie hatte ihn ihren Eltern zuliebe geheiratet; sie war zu ehrlich, um es vor sich selbst zu leugnen, und immer wenn sie sah, wie Mr Spear kennerisch und genüsslich an seinem Champagner schlürfte und Mrs Spear in schwarzem Samt und alter Spitze ihre schönen kurzsichtigen Augen auf eine appetitliche Speise richtete oder sie im Protest über eine neu entdeckte Grausamkeit an Schweinen oder Kormoranen anklagend zum Himmel erhob, sagte sich Halo, dass es sich gelohnt hatte. Denn Mrs Spears Sorgen waren ebenso luxuriös geworden wie Mr Spears Zigarren und Champagner. Sie konnten ihre Empörungen hätscheln wie Schoßtiere, konnten sie füttern, bis sie sich wie die Made im Speck zu weit aufgebläht hatten, um noch verstörend zu wirken; und wenn Halo auf die mühseligen, dornigen Jahre zurückblickte, als ihrer Eltern grimmiges Bemühen um das Gemeinwohl ständig von persönlichen Sorgen und Entbehrungen genährt

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