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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Gedanken:«Wenn er nur kein Geld hätte!», angesichts der verwirrenden Entdeckung, dass Überfluss ein Talent ebenso behindert wie Not.«Aber woraus besteht dann Talent?», fragte sie sich.«Ist es tatsächlich ein so minderwertiges Material, das weder Regen noch Sonne verträgt?»
    Frenside saß noch immer grübelnd vor dem Kamin.«Ja, es würde mich nicht wundern, wenn Tarrant aus der ‹Stunde› etwas machen würde, falls er die richtigen Leute für die Routinearbeit bekommt.»Das waren ungewöhnlich hochherzige Worte von Frenside, doch in Halo glomm noch immer der Groll.
    « Du meinst, er selbst würde nie durchhalten?»
    « Liebes Kind, mach mich nicht schlimmer, als ich bin. Ich meine genau das, was ich sage. Jedes geschäftliche Unternehmen ist auf Plackerei aufgebaut …»
    « Ja, und er ist zu brillant. Er ist brillant, Frenny.»Sie blickte ihren alten Freund vertrauensvoll und eindringlich an; es stärkte ihren Glauben an ihren Mann, wenn sie ihn anderen einredete. Und sie glaubte wirklich an«Die Stunde»und an das, was er und sie daraus machen würden.
    Die Tür ging auf, und da stand er, schlank, vornehm, schöner denn je, dachte sie, während ihr Blick prüfend auf dem ruhigen Gesicht lag, hinter dem solch ein Hunger nach Anerkennung brannte.
    « Hallo, Frenside!»Lewis Tarrant nickte seiner Frau zu und schlenderte gemächlich zum Kamin.«Höllisch kalt draußen.»Er beugte sich übers Feuer und hielt seine nervigen, durchscheinenden Hände darüber. («Warum ist er mit solchen Händen kein Dichter?», sinnierte Halo.)
    Tarrant ließ sich in einen Sessel am Teetisch fallen.«Nein – einen Cocktail, bitte. Ich bin völlig durchgefroren. Schreckliches Klima!»
    Sie reichte ihm den Cocktail und legte ihm im Vorübergehen die Hand auf die Schulter.«Du bist müde, Lewis – du hast dich überarbeitet.»Es tat ihr gut, ihn ganz aufrichtig dafür zu rügen.
    « Ja, es ist tatsächlich Schwerarbeit, das alles in Ordnung zu bringen. Aber ich glaube, ich weiß jetzt, wie ich es angehe.»Er sprach mit jenem kalten Funkeln in Stimme und Gesicht, das der Begeisterung bei ihm am nächsten kam.«Übrigens war es nicht nur Plackerei. Ich habe auch etwas gefunden.»Er hob ein Bündel Zeitschriften auf, die er zu Boden geworfen hatte, und zog eine Nummer der«Stunde»hervor.
    « Was sagst du dazu, Frenside? Ich habe noch nie davon gehört – das muss erschienen sein, als wir in den Flitterwochen waren, Halo.»
    Dieser Ausdruck auf seinen Lippen erschreckte sie. War das alles so lang her, dass ihr seine Worte wie Vokabeln einer toten Sprache vorkamen? Sie unterdrückte das Frösteln und streckte die Hand nach der Zeitschrift aus – eine alte Nummer, wie Lewis sagte, arg mitgenommen vom langen Herumschubsen in der Redaktion.«Was? Das hier, ‹Ein Tag›? Die Erzählung meinst du?»Sie runzelte die Brauen über den kurzsichtigen Augen.« Lewis! Das ist doch von diesem Jungen, dem Verwandten der Tracys. Der …»Sie brach ab und spürte, wie ihr das Blut in die Schläfen stieg. Vance Weston – an Vance Weston hatte sie seit ihrer Hochzeit nicht mehr gedacht. Dabei stand sie so tief in seiner Schuld! Sie war nie in der Lage gewesen, diese Schuld selbst abzutragen; wie freudig würde sie die Chance hierzu ergreifen, falls sie sich böte! Sie beugte sich über die Seite, neugierig, aufgeregt, mit dem leisen, kaum verständlichen Gemurmel des geborenen Lesers.«Wie seltsam, dass ich nie davon gehört habe … Ja, es ist in dem Winter erschienen, als wir in Ägypten waren.»Die Chronologie ihres Ehelebens war eher topographischer als sentimentaler Natur. Sie blickte zu Frenside.«Das hat er dir wohl geschickt, nachdem er dich in Eaglewood kennengelernt hat?»
    Frenside schien in einem Berg staubiger Erinnerungen zu wühlen.«Ja – das kann stimmen. Jetzt fällt es mir wieder ein. Eines Tages tauchte er in der Redaktion auf und lud einen Haufen unsinniger Gedichte vor mir ab.»(Auch Halo erinnerte sich und zuckte zusammen.)«Als ich ihm sagte, das Zeug tauge nichts, zog er das heraus. Lass sehen: Ja, das ist es. Ich fand es besser als die meisten solchen Sachen, und der Junge wirkte so verhungert und verängstigt, dass ich es genommen habe. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich ihn nur dieses eine Mal gesehen.»
    Halo hörte nicht mehr zu; sie war wieder in die Lektüre versunken. Ja, Frenside hatte recht – die Gedichte waren, auch wenn sie Entwicklungsmöglichkeiten hatten (oder an jenem Bergsee bei Sonnenaufgang zu

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