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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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wurde, dachte sie, dass es wohl kaum ein angenehmeres Leben gab als das eines Reformers im Ruhestand.«Zumindest borgen sie sich jetzt nichts mehr von Lewis, da bin ich mir ziemlich sicher.»
    Das Ausmaß dieses Ausborgens (das plötzlich ans Tageslicht kam, genau in dem Moment, da sie beschlossen hatte, ihre Verlobung zu lösen) war in der Tat der eigentliche Anlass für Halos Eheschließung gewesen. Tarrant war öfter in die Bresche gesprungen, als sie gedacht hatte; er hatte nicht nur die auf so geheimnisvolle Weise verschwundenen Bücher zurückgekauft, sondern auch Lorry geholfen, eine Laufbahn als Bühnenbildner einzuschlagen, und nebenbei die immer weiter klaffende Lücke im Budget der Familie Spear aufgefüllt. Das alles hatte er so stillschweigend getan, dass Halo, als sie davon erfuhr, nach dem ersten Entsetzen unvermutet Bewunderung empfand. Wenn er so war, sollte sie eigentlich fähig sein, ihn zu lieben, auf jeden Fall konnte sie ihm niemals willentlich Schmerz zufügen. Auf dieser Grundlage heirateten sie …
    Die folgenden Jahre waren die Zinsen für das Entgegenkommen ihres Mannes. Er war viel zu sehr Gentleman, um sie spüren zu lassen, dass sie oder einer der Ihren in seiner Schuld stand, aber die bedrohliche Tatsache blieb bestehen, umso bedrückender, als er sie geflissentlich übersah. Sie erkannte im Lauf der Zeit, dass sein eigentliches Wesen sich dadurch nicht änderte, aber ihr war nun die Verpflichtung auferlegt, ihn immer im Licht einer absichtslosen Großzügigkeit zu sehen. Es war schrecklich, dachte sie in ihren rebellischen Momenten, genau zu wissen, was man bis zum Tod von seinem Mann zu halten hatte. Aber diese Rebellionen waren selten. Jeden Morgen sagte sie sich von Neuem, dass er unglaublich großzügig zu ihrer Familie gewesen war und sie ihm dafür nichts anderes geben konnte, als sich mit Feuereifer auf jeden neuen Plan zu stürzen, der ihn faszinierte, und schlagartig jede Unternehmung zu verwerfen, die ihm nicht mehr gefiel. Vielleicht fand er eines Tages seine Aufgabe – und dann würden die Leute schon sehen, dann würde selbst Frenside zugeben müssen …
    Der arme Frenside! Es war nur natürlich, dachte sie, dass seine eigene Unfähigkeit, bei einer Sache zu bleiben, seine Kommentare über die Unbeständigkeit anderer noch giftiger ausfallen ließ.«Alles, was ich berühre, wird in meinen Händen kalt», hatte er einmal gestanden, und das war auch das Schicksal der« Stunde»gewesen. Nach einem fulminanten Start war die Zeitschrift nörglerisch, kapriziös und schließlich langweilig geworden, man spürte förmlich die kriechende Kälte der Leere, wenn man darin blätterte. Abonnenten sprangen ab, und die entmutigten Eigentümer boten das Blatt zum Verkauf an. Im Wissen um seine Mitschuld an dem Fehlschlag kündigte Frenside und schrieb wieder freiberuflich Artikel für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Es sei Unsinn, sagte er, den literarischen Ratgeber zu spielen, wenn sein ehrlicher Rat fast immer lautete:« In den Papierkorb damit.»«Die Stunde»schleppte sich noch ein weiteres Jahr dahin, ungelesen und ungekauft, dann bot sich Tarrant die Gelegenheit, sie günstig zu erwerben, und einmal in seinem Besitz, erhielt sie in seinen Augen jene Bedeutung, die alles hatte, was ihm gehörte.«Komisch – vielleicht bin ich wirklich zum Herausgeber geboren», sagte er zu seiner Frau mit jenem spöttischen Lächeln, das ein glühendes Selbstwertgefühl verbarg.«Keine besonders umwerfende Laufbahn, ich hätte wohl nach Höherem streben sollen, aber vielleicht gibt es mir die Chance, bekannt zu werden …»
    « Natürlich, Lewis, das habe ich mir immer für dich gewünscht. »
    « Ja? Du hast gedacht …?», begann er mit sorgsam unterdrückter Begierde.
    « Nun ja, für einen Mann, der gehört werden will und etwas zu sagen hat, kann ich mir keine bessere Chance vorstellen als eine offene Bühne wie ‹Die Stunde›.»Sätze wie diese konnte sie so lange herunterrasseln, wie es nötig war, und außerdem dachte sie – zwang sie sich zu denken –, dass nach diversen erfolglosen Experimenten, erst in der Architektur, dann in der Malerei, die Literatur vielleicht wirklich sein Gebiet war. Eine kreative Arbeit wohl eher nicht (obwohl sie wusste, dass er gern Romane geschrieben hätte), aber Literaturkritik, Literaturgeschichte vielleicht schon, vorausgesetzt, er hatte die Geduld, ausdauernd genug in eine Richtung zu forschen. Sie ertappte sich manchmal bei dem

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