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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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der Welt»(von Großmama) vor der grau-goldenen Tapete und mit der Palme in ihrem zu engen rosa Topf auf dem fleckigen alten Melkschemel.
    An kalten Abenden war der Heizkörper der Mittelpunkt des Familienlebens, und der ihm zunächst stehende Stuhl war jetzt immer besetzt von einem uralten Mann mit gelblichem, wächsernem Gesicht und üppigem schwarzem, grau meliertem Haar. Er saß da, den linken Arm hilflos auf der über seine Knie gebreiteten Decke, und murmelte von Zeit zu Zeit mit leiser, belegter Stimme:«Es geht … mir … gut … hier … nach … Crampton …»
    Großpapa und Großmama Scrimser waren nach Großpapas erstem Schlaganfall in die Mapledale Avenue gezogen. Das Haus draußen in Crampton war zu kalt, und der Nordische Hilfsdienst, der nur zu gern nach Euphoria oder Swedenville kam, ließ sich nicht überreden, einen gelähmten alten Mann und seine unbeholfene Frau zu versorgen. Lorin Weston hatte den Umzug klaglos akzeptiert, er achtete familiäre Bindungen. Aber die Anwesenheit des alten Paares machte das Leben in der Mapledale Avenue nicht leichter. Mrs Weston war es ein steter Dorn im Auge, dass ihr perfekt geführter Haushalt durch Mrs Scrimsers Schlamperei immer wieder durcheinandergeriet; ihren Vater zu pflegen machte ihr weit weniger aus, als ständig ihrer Mutter«hinterherzuräumen». Doch das Allerschlimmste war die Invasion von Großmamas Gefolgsleuten – von all den«erleuchteten »Exzentrikern, den Propheten, Sehern und Heilern, die so lange die unbekümmerte Gastfreundschaft am Tisch der Scrimsers genossen hatten und sich jetzt um den von Mrs Weston drängten, angeblich um mit Großmama für Großpapa zu beten, aber wie Mrs Weston feststellte, schafften sie es immer, genau zur Essenszeit hereinzuschneien.
    Großpapas Schlaganfall hatte sich in dem Jahr nach Vance’ Heimkehr ereignet. In den Monaten davor hatte Vance nicht viel von Mr Scrimser gesehen. Noch immer schreckte der junge Mann davor zurück, hinaus nach Crampton zu gehen. Nach seiner Rückkehr aus New York war ihm alles in Euphoria so klein und farblos erschienen, dass er herumirrte wie ein Geist in der Vorhölle, doch als er sich zum ersten Mal aufmachte, seine Großmutter zu besuchen, überfiel ihn am Feldweg zum Fluss die alte Übelkeit. Vance und Mrs Scrimser saßen auf der Veranda, da kam der Großvater die Stufen hoch, steifbeinig, aber munter wie immer, den Hut auf den schwarzen Locken zurückgeschoben, den Hemdkragen am sehnigen Hals heruntergekrempelt, und der Junge spürte, dass er innerlich versteinerte. Dann bekam er eines Abends beim«Offenen Wort»einen Anruf, eine Stimme rief ihn ins«Elkington», und in der glitzernden Bar saß der alte Mann zusammengesackt wie eine Marionette mit abgeschnittenen Drähten auf einem Sofa, auf das man ihn in aller Eile gehoben hatte.
    Der Vorfall hatte Vance’ Liebe zu seinem Großvater nicht wiedererweckt, wohl aber seinen Hass ausgelöscht. Wenn unsere wenigen Jahre auf Erden ein solches Ende nahmen, dann stand die Strenge des Sittengesetzes in einem grausamen Missverhältnis zur Kürze des Lebens; er erkannte die verschmitzte Wahrheit in der Weltsicht des alten Mannes. Bisher hatte Vance noch nie bedauert, dass er die Erzählung, in die all seine jugendliche Empörung eingeflossen war, geschrieben und an eine Zeitschrift verkauft hatte; doch obwohl er überzeugt war, dass in Euphoria kein Mensch jemals von der«Stunde»gehört hatte oder seine Erzählung mit einem tatsächlichen Vorfall in Verbindung bringen würde, hätte er diese Seiten gern aus seinem Leben getilgt, vor allem die Erinnerung an das Geld, das sie ihm eingebracht hatten.
    « Ich habe das Gefühl, Vater kommt heute Abend noch später als sonst, und dabei sagt das slowakische Mädchen, sie bleibt keine Woche mehr, wenn sie nie weiß, um wie viel Uhr sie servieren kann», murmelte Mrs Weston und blickte von dem Handtuch auf, das sie gerade einsäumte, als ihr Sohn eintrat.
    « Vance hat einen Brief von einer New Yorker Zeitschrift bekommen», rief Pearl triumphierend, ohne auf ihre Mutter einzugehen.
    Mrs Scrimser blickte sehnsüchtig aus der Ecke herüber, wo sie neben ihrem Mann saß, die neueste Ausgabe von«Licht der Seele»auf den Knien. («Was eure Großmutter mit Abonnements für diese ‹Jesus liebt dich›-Zeitungen verschleudert, geht über meinen Verstand. Von dem Geld könnte sie eine Krankenschwester anstellen», beklagte sich Mrs Weston häufig bei ihren Kindern.)
    « O Vanny, mach ihn schnell

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