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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Es war weniger das Geld, obwohl sie auch das brauchten; vielmehr entnahm er ihren Ausführungen, dass Mrs Tracy in ihrem Stolz verletzt gewesen sei. Als Miss Halo versuchte, die Angelegenheit zu bereinigen, erklärte sie, das sei zwecklos, sie werde ihre Kinder nie mehr nach The Willows gehen lassen, wenn sie das Vertrauen ihres Verwandten verspielt hätten. Aber irgendwie gelinge es Miss Halo immer, die Dinge in Ordnung zu bringen, sagte Laura Lou, und am Ende habe sich Mrs Tracy erweichen lassen. Auch später habe Miss Halo ihnen geholfen und Upton bei Freunden, die in Tarrytown ein großes Haus besaßen, eine schöne Stelle als Hilfsgärtner verschafft. So gehe es jetzt in allem besser, und sie, Laura Lou, besuche derzeit für ein halbes Jahr die St.-Elfrida-Schule in Peapack, wo sie Kurse für Französisch, Literatur und auch Musik belegt habe – ihre Mutter wolle nämlich, dass sie gebildet sein solle, wie alle in der Familie ihres Vaters.
    Laura Lou war keine begabte Erzählerin; nur Stück für Stück und als Antwort auf Vance’ Fragen (soweit er nicht zu hingerissen war, um überhaupt welche zu stellen) gelang es ihr, mit Mitteilungsschnipseln die Zeit dazwischen zu überbrücken, in der aus dem linkischen Mädchen dieses Wunder junger Weiblichkeit geworden war.
    Als sie hören wollte, wie es ihm seit seinem Abschied ergangen war, fiel es ihm noch schwerer, seine Geschichte zu erzählen, als die ihre zusammenzusetzen. Während sie sprach, konnte er um sie einen seidenen Traumkokon spinnen, gewoben aus ihren leisen, in die Länge gezogenen Worten, dem Pulsschlag ihrer Hand und der Rundung ihrer Pfirsichwangen und Lider, doch wenn er versuchte, seine Aufmerksamkeit lang genug von ihr abzuwenden, um seine eigenen Worte in Reih und Glied zu bringen, verlor er sich in einem Nebel … Eigentlich sei bei ihm gar nichts passiert, jedenfalls nichts Besonderes. Er habe als Reporter bei der wichtigsten Zeitung von Euphoria gearbeitet und es schrecklich gefunden, außerdem habe er an der staatlichen Universität Philosophie und Literatur belegt, aber die Dozenten hätten ihn irgendwie nicht zu fesseln vermocht. Das Lesen in einer Bibliothek liege ihm wohl mehr. (Ihre Wimpern saßen dicht wie jene Doppelreihe mikroskopisch kleiner Kolibrifedern auf einer südamerikanischen Stickerei, die er einmal irgendwo gesehen hatte …) Aber das mit Euphoria sei vorbei, er habe jetzt eine Arbeit in New York … eine Arbeit bei einem famosen Magazin, einer sogenannten Literaturzeitschrift, die auch Kurzgeschichten veröffentliche, sie hätten schon eine von ihm herausgebracht, aber sie wollten mehr, so viele er schreiben könne … und der Herausgeber, Lewis Tarrant, habe ihn gebeten, nach New York zu kommen …
    « Lewis Tarrant! Das ist doch der, den Miss Halo geheiratet hat!», rief Laura Lou.
    « So?», erwiderte Vance geistesabwesend. Seine ganze Aufmerksamkeit galt jetzt ihren Händen. Er nahm einen Finger nach dem andern, hob ihn an und ließ ihn wieder zurückfallen, als spielte er auf einem Zauberinstrument. Er achtete kaum darauf, dass sie Halo Spear erwähnt hatte.
    « Wusstest du das nicht? Sie haben in dem Jahr geheiratet, als du weggingst. Es ist ewig her.»
    « Kommt es dir ewig vor, dass ich wegging?»
    « O Vance, ich hab dir doch gesagt, du darfst nicht … sonst muss ich gehen …»
    Er zog sich zurück, ließ ihre Hände los und beschränkte sich auf die subtilere Wonne, sie zu betrachten.«Wozu Gedichte schreiben, wenn jemand wie sie existiert?», sinnierte er. Und doch suchte er schon im nächsten Moment nach Versen und Metaphern für sie. Er versuchte sich zu erklären, was ihn so einschüchterte und in die Knie zwang, als verberge sich hinter ihrer Lieblichkeit etwas Majestätisches. Mit dem Mädchen auf dem Thundertop war es anders gewesen; der Ansturm der Gedanken, ihre anregenden Worte und Anspielungen, das Gefühl, es breite sich eine unbekannte Welt aus Schönheit und Phantasie um ihn aus, während sie sprach – all dies hatte sein Blut abgekühlt, aber seinen Kopf in Brand gesetzt. Wenn hingegen Laura Lou sprach, war ihm, als wäre sie noch ein Kind. Als er seine literarischen Pläne und ehrgeizigen Vorhaben erwähnte, strahlten ihre Augen, so freute sie sich für ihn, und doch kam von ihr nichts Greifbareres als:«Ach, wie schön, Vance!»Trotzdem empfand er nicht jenes sinnliche Verlangen nach ihr, das Mädchen wie Floss Delaney in ihm erregt hatten. Es wurde gezügelt von etwas Neuem an diesem

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