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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Zeit geben … du musst tun, was ich dir sage …»
    « Und was sagst du mir? Dass ich dich nicht besuchen darf, bis es diesem Herrn behagt? Ist es das?»
    Sie ließ den Kopf sinken, und auf ihren Wimpern glitzerten Tränen, aber eine Sekunde später blickte sie auf und sah ihm direkt in die Augen.«Vance, wenn du mir versprichst, morgen nicht zu kommen, verspreche ich dir, dich nächste Woche in New York zu besuchen. Ich werde schon irgendwie davonschlüpfen können… Denn jetzt, Vance», schluchzte sie,«will ich keinen anderen heiraten als dich, was auch immer geschieht, niemals, niemals, auch nicht, wenn wir jahrelang aufeinander warten müssen.»
    Taumelnd vor Glück stand er da und blickte sie an, als blickte er in die Sonne, dann zog er sie an sich, und ihre Jugend und Leidenschaft flossen zusammen wie Quellbäche.«Laura Lou … Laura Lou … aber wir werden nicht jahrelang warten müssen», rief er, denn in diesem Augenblick glaubte er im Ernst, sein Glück selbst in der Hand zu haben.

19
    Es hatte keiner drei Ehejahre bedurft, um Halo Tarrant zu lehren, dass meist etwas schiefgegangen war, wenn ihr Mann zum Lunch heimkam. Sie wusste seit Langem, dass er sich nicht bezirzen, sondern beruhigen lassen wollte, wenn er sie um diese Stunde aufsuchte, so wie man mit rasendem Kopfweh nach einem Kissen und einem verdunkelten Zimmer verlangt. Dieses Bedürfnis hatte nachgelassen, seit er«Die Stunde»gekauft und sich in die erregende Aufgabe gestürzt hatte, die Zeitschrift umzugestalten. Normalerweise aß er mittags lieber in einem der Künstlerlokale in der Nähe der Redaktion, wo Frenside und sein Kreis verkehrten; wahrscheinlich hörte er, wenn er zwischen den Tischen hindurchging, nicht ungern Satzfetzen wie:«Das ist der Bursche, der ‹Die Stunde› gekauft hat. Lewis Tarrant, hochanständiger Kerl. Ja, schreibt auch selbst …»Er brauchte jede Form der Anerkennung von außen, und sei es die beiläufigste und unbedeutendste, um sein Selbstvertrauen zu festigen. Halo erinnerte sich, wie sie gelacht hatte, als Frenside lange vor ihrer Heirat einmal gesagt hatte:«Der junge Tarrant? Kluger Junge – aber er hat keine Ruhe, bis das nicht auch der Milchmann weiß.»Heute hätte sie eine solche Bemerkung nicht mehr geduldet, nicht einmal von Frenside; und wenn sie selbst so etwas dachte, schwächte sie den Gedanken ab, indem sie sich in Erinnerung rief, dass übertriebene Anerkennungssucht oft aus krankhafter Bescheidenheit erwuchs. Ja – im Grunde hatte das bei dem armen Lewis krankhafte Züge. Wenn sie sich versucht fühlte, ihn zu kritisieren, zwang sie sich, nicht zu vergessen, dass es seinem feineren Organismus einfach nicht gegeben war, so wie sie immer wieder auf die Füße zu kommen und aus einem Tiefschlag frische Kraft zu schöpfen. Als«feiner»bezeichnete sie ihn, um sich selbst Mut zu machen.
    Und nun war Tarrant just an dem Freitag, an dem er seine Neuentdeckung erwartete, den jungen Vetter der Tracys aus dem Westen, plötzlich zum Lunch aufgetaucht. Als seine Frau den Wohnungsschlüssel hörte, nahm sie an, er habe den jungen Weston mitgebracht; sie freute und wunderte sich gleichzeitig, denn es sah ihm eher ähnlich, dass er mit seinem neuen Freund vor den Kollegen renommierte. Vielleicht hatte sich Weston als die Sorte entpuppt, mit der man nicht renommieren konnte – obwohl sie sein junges Dichtergesicht mit den unergründlichen Augen als recht ausdrucksvoll in Erinnerung hatte. Allerdings waren seit ihrer letzten Begegnung drei Jahre vergangen, drei Jahre, in denen er Reporter bei einer Kleinstadtzeitung gewesen war. Vielleicht hatte die Dichtung das nicht überlebt.
    Ihr Mann kam allein herein, spät und – wie sie es nannte –«zerknittert», wenngleich an seinem geschniegelten und gebügelten Äußeren wie immer keinerlei Makel zu erblicken war. Die verräterischen Anzeichen lauerten um Mund und Augen.
    « Ist noch Essen da? Hoffentlich gibt es etwas Warmes, egal was.»Während er auf seinen Stuhl sank und das Mädchen mit eilends erteilten Befehlen entschwand, entfaltete er mit süffisanter Bedachtsamkeit seine Serviette und fuhr fort:«Tja, dein Wunderkind ist gar nicht aufgetaucht.»
    Ach, wie gut sie dieses Naturgesetz kannte! Pläne, die sich zerschlugen, schob er fast immer (ganz arglos) anderen in die Schuhe, und das Wunderkind, das ihn im Stich gelassen hatte, war plötzlich das ihre. Sie lächelte ein wenig, weil ihn derart winzige Widrigkeiten so lächerlich aus der Fassung

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