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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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das noch nicht geschrieben wurde», dachte sie, und dann:«Nein, mein Kind, was du wirklich willst, ist ein Ziel im Leben …»Es erfüllte sie mit grimmiger Heiterkeit, dass sie mit sich selbst genauso sprach, wie sie im Geiste oft mit ihrem Mann sprach.
    Du liebe Zeit, es war schon fast dunkel, wieder ein Tag, den man aus dem Kalender streichen konnte. Um fünf Uhr war ein Konzert im«Vanguard Club» – natürlich etwas Neues und Exotisches, sie hatte das Programm verlegt. Sie ging in ihr Zimmer und zog den eleganten schwarzen Mantel mit dem grauen Pelzbesatz heraus, dazu den eng anliegenden schwarzen Turban, in dem ihr Gesicht lang und schmal und interessant aussah. Bestimmt waren amüsante Leute im Konzert …

    Das Konzert war langweilig, die amüsanten Leute so öde, wie es nur amüsante Leute sein können. Halo kam spät und verstimmt nach Hause und fand eine telefonische Nachricht ihres Mannes vor. Er fahre noch heute Abend nach Boston, sie möge bitte in der Redaktion Bescheid sagen, dass er vor Montag nicht zurück sein werde.
    Am nächsten Morgen rief sie in der Redaktion an, übermittelte die Nachricht und fügte nach einer Pause hinzu:«Übrigens … ist Mr Weston gestern noch aufgetaucht? Vance Weston, der mit den Erzählungen, Sie wissen schon.»Ja, sie wussten, sie hatten auf ihn gewartet. Aber er war nicht aufgetaucht und hatte auch nichts von sich hören lassen. Nein, seine Adresse hatten sie nicht.
    Halo dachte:«Eigentlich dumm von mir, dass ich gestern Abend nicht nach Eaglewood hinausgefahren bin.»Wieder so ein strahlender Tag, vielleicht der letzte vor dem Winter! Sollte sie vielleicht jetzt hinausflitzen, nur für ein paar Stunden? Ein tüchtiger Waldspaziergang würde ihr sehr guttun … Aber es fehlte ihr an Schwung, sich fürs Land umzuziehen und den Chrysler vorfahren zu lassen …«Außerdem taucht höchstwahrscheinlich dieser Junge auf.»Nicht, dass sie sich mit ihm zu treffen gedachte, aber falls er in der Redaktion vorsprach, konnte sie es Lewis zumindest erzählen und ihm gegebenenfalls etwas ausrichten. Ein bisschen kleinlich von Lewis, dass er sie nicht gebeten hatte, den jungen Weston zu empfangen.
    Vor zwölf Uhr rief sie noch einmal in der Redaktion an. – Nein, keine Spur von Weston, keine Nachricht. – Wie seltsam … – Ja, wirklich seltsam … –«Hören Sie, Sie sind doch Mr Rauch?» – Ja. –«Also, falls er heute noch auftauchen sollte, wenn die Redaktion schon nicht mehr besetzt ist … vielleicht hat er vergessen, dass Samstag ist …»Ob Mr Rauch so nett wäre und ihm über den Pförtner ausrichten ließe, Mr Weston solle zu ihr kommen? – Ja, in ihre Wohnung, sie sei den ganzen Nachmittag hier. Er solle nur nach Mrs Tarrant fragen. (Wahrscheinlich war ihr Lewis dafür am Ende dankbar, auch wenn er es nie zugeben würde.)
    « Ich will versuchen, ein bisschen zu malen», sagte sie sich, als sie einhängte. Lewis hatte im Dachgeschoss einen recht hübschen Raum eingerichtet, eine Art Atelier, in dem für sie eine Ecke zum Modellieren und Malen reserviert war. Er ermunterte sie immer, die Künste auszuüben, die er selbst aufgegeben hatte, und während er ihre Schriftstellerei etwas geringschätzig abtat, neigte er zunehmend zu der Ansicht, dass an ihren Experimenten mit Farbe und Ton«etwas dran»sei. Doch es war Monate her, seit sie etwas in Angriff genommen hatte. Sie stieg in das Dachatelier hinauf, zog sich einen Malerkittel über, durchstöberte die Leinwände, fuhrwerkte mit der Staffelei herum und zog einen Strauß Papierblumen hervor, den sie einmal gebastelt hatte, nachdem sie irgendwo gelesen hatte, Cézanne habe seine Blumen immer nach Papiermodellen gemalt.«Jetzt also ein Cézanne», spottete sie.
    Sobald sie sich dazu durchrang, an etwas zu arbeiten, ließ sie sich noch immer von ihrem Tun gefangen nehmen, und die Stunden vergingen rasch, während sie mit den Geheimnissen von Licht und Schatten kämpfte. An diesem Nachmittag glaubte sie wirklich, dass sie auf dem besten Wege war, das Malen zu erlernen.«Vielleicht hat Lewis recht», dachte sie.
    Gerade als das Licht nachließ, erschien das Dienstmädchen. Es sei ein Herr unten, ein junger Herr, ja, Weston heiße er. Halo ließ die Pinsel fallen und wischte sich rasch die Hände sauber. Sie hatte den jungen Weston ganz vergessen! Aber es war schön, dass er jetzt, wo es zum Malen zu dunkel wurde, erschien, um das Tagesende zu füllen.
    Ob er noch derselbe war? Oder hatte er sich verändert? Ob sie

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