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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Gesicht.«Weil es so viel schöner ist?»
    « Weil es lebendig ist.»
    Sein Blick kehrte zum Feuer zurück.«Das stimmt; es ist lebendig …»Er streckte seine Hände den Flammen entgegen, und ihr fiel ein, dass sie vor ein paar Tagen, als sie an Lewis dieselbe Bewegung beobachtet hatte, gedacht hatte:«Warum ist er kein Dichter?»
    Die Hände dieses Jungen waren ganz anders, kräftiger, weniger durchscheinend, sie hatten stumpfere Fingerkuppen, obwohl die Finger selbst lang und biegsam waren. Die Hand eines Arbeiters, dachte sie, eines Machers. Sie fragte sich, was er wohl machte.
    Der Gedanke erinnerte sie wieder an den Grund seines Besuchs – oder zumindest an den, dessentwegen sie ihn hatte kommen lassen, und sie sagte:«Sie haben doch bestimmt eine Menge mitgebracht, oder? Ich hoffe es jedenfalls. Ich möchte es sehr gern sehen.»
    « Manuskripte?»Er schüttelte den Kopf.«Nein, nicht viel. Aber ich will hier eine Menge Neues schreiben.»Er stand auf, lehnte sich an den Kaminsims und blickte auf sie nieder, etwas demütigend, als wäre sie nur ein Teil der Möblierung.
    « Was sieht er in diesem Augenblick wirklich?», fragte sie sich. Laut sagte sie:«Mein Mann meinte, Sie würden alles mitbringen, was Sie geschrieben haben. Er ist sehr interessiert daran … Wir beide finden ‹Ein Tag› ganz wunderbar. Soviel ich weiß, hat er Sie gebeten, alle Erzählungen und Artikel mitzubringen, die ‹Die Stunde› früher abgelehnt hat. Sie merken schon, das Heft ist jetzt in neuen Händen, in denen meines Mannes, und er denkt an ein viel breiteres Spektrum.»(Wieso redete sie eigentlich wie ein Hochglanzprospekt, fragte sie sich.)
    Vance Weston schüttelte den Kopf.«Von dem alten Zeug habe ich nichts mitgebracht, das war nicht gut. ‹Die Stunde› hatte verdammt recht, als sie es abgelehnt hat.»
    « Oh!», rief sie, verwundert und aufmerksam. Das war ein neuer Ton in diesem Zimmer – die Stimme ernst gemeinter Selbstkritik! Sie blickte ihn mit wachsender Neugier an und bemerkte wieder, wie breit seine Stirn war, wie kühn die Nüstern und wie kräftig die fleischige Nase zwischen den grauen, unergründlichen, weit auseinanderstehenden Augen.
    « Schriftsteller können das oft nicht beurteilen. Gerade das, was sie selbst für nicht gut halten, würde ein Kritiker vielleicht bewundern.»
    « Nein. Dieser Frenside ist doch Kritiker, oder? Jedenfalls hatte er mit seinen Absagen immer recht, das weiß ich.»Er sprach entschieden, ohne übertriebene Demut.«Natürlich steckt mein Kopf immer voller Ideen. Aber er sagte damals, ich hätte nicht genug Lebensstoff angesammelt, um sie zu bearbeiten, und ich weiß, dass das stimmte. Und ich weiß auch, dass ich es jetzt viel besser kann. Deshalb will ich mich sofort an die Arbeit machen.»
    Sie war enttäuscht, ahnte auch die Enttäuschung ihres Mannes. Es hätte ihm glühende Genugtuung verschafft, eines von Frensides Urteilen zu revidieren.«Und Sie glauben, inzwischen genügend Lebensstoff angesammelt zu haben?»In ihrem Ton schwang Ironie mit.
    « Na ja», sagt er einfach,«das bringt die Zeit wohl mit sich, die Monate und Jahre. Dazu sind sie da. Ich bin drei Jahre älter, und ich habe allerlei erlebt. Ich kann meine Ideen jetzt mehr ausloten.»
    Sie sah, wie seine Augen aufleuchteten, als er vom Schreiben sprach, und fühlte sich ihm ferner denn je. Sie hätte gern gewusst, ob er sich überhaupt noch an ihre Gespräche erinnerte, und erwiderte freundlicher:«Ihnen kommt es wahrscheinlich wie eine Ewigkeit vor, seit Sie mir am Thundertop Ihre Gedichte vorgelesen haben.»
    « Ja», sagte er,«aber Sie haben mir an diesem Tag viel beigebracht, was ich nie vergessen habe – und in The Willows auch.»Er schwieg einen Augenblick, als suche er nach dem richtigen Satz.«Ich glaube, Sie haben mir als Erste gezeigt, was in Büchern steckt.»
    Freudige Röte stieg ihr ins Gesicht. Endlich hatte er wieder die Stimme des anderen Vance!«Ach, auch ich war damals jung», sagte sie mit wehmütigem Lachen.
    « Jung? Sie sind doch noch immer jung.»Er verfiel wieder in seine freundliche Grobheit und fügte hinzu:«Ich bin erst zweiundzwanzig. »
    « Dann bin ich ja alt genug, um Ihre Mutter zu sein!»
    « Wie bitte? Sie sind doch nicht älter als fünfundzwanzig, oder?»
    Sie schüttelte den Kopf und verzog betrübt das Gesicht.«Sie müssen noch ein ganzes Jahr drauflegen. Und haufenweise nutzlose Erfahrungen! Ich wüsste nicht einmal, wie ich sie in Erzählungen verwandeln sollte.

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