Ein amerikanischer Thriller
irgendwelche Vorfälle
von Belang hat sie weder selbst miterlebt noch indi-
rekt erfahren; doch ihr Gefühl, daß Joseph P. Kennedy
über »weitgehende Beziehungen zum organisierten
Verbrechen« verfügt, ist bemerkenswert ausgeprägt.
Ich werde meine freundschaftliche Beziehung zu Miss
Hughes weiter pflegen, und alle brauchbaren Informa-
tionen über die Kennedy-Familie an Sie weitergeben.
Hochachtungsvoll
Kemper Boyd
DOKUMENTENEINSCHUB: 21. 4. 59. Zusammenfas-
sender Bericht: Special Agent Ward J. Littell an Kemper
Boyd »Zur Überarbeitung und Weiterleitung an Robert
F. Kennedy«.
Lieber Kemper,
hier in Chicago geht es langsam, aber sicher voran.
Gemäß Dienstauftrag beschatte ich immer noch die
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hiesige Kommunistenszene, obwohl sie mir täglich be-
mitleidenswerter und harmloser erscheint. Und damit
zu unserem eigentlichen Anliegen.
Sal D’Onofrio und Lenny Sands sind nach wie vor,
ohne daß der eine vom anderen weiß, als Informanten
für mich tätig. Sal hat selbstverständlich die 12.000
Dollar zurückgezahlt, die er Sam Giancana schuldete;
Giancana hat ihn zusammenschlagen und laufen lassen.
Offensichtlich wurde der Diebstahl der 14.000 Dollar
von Butch Montrose nie mit Sals plötzlichem Reichtum
in Verbindung gebracht. Ich habe Sal aufgetragen, Gian-
cana das Geld in drei Raten zurückzuzahlen, und er
hat sich daran gehalten. Meine anfängliche Brutalität
ihm gegenüber hat sich langfristig als sehr nützlich
erwiesen: Ich glaube, ich habe den Mann gründlich
eingeschüchtert.
Bei einer gelegentlichen Unterhaltung habe ich ihm
zu verstehen gegeben, daß ich das Jesuitenseminar
besucht habe. Damit habe ich D’Onofrio, der sich als
»frommen Katholiken« bezeichnet, wohl ziemlich be-
eindruckt; er betrachtet mich seitdem als eine Art
Beichtvater. Er hat mir sechs Foltermorde gestanden,
und natürlich habe ich nun mit den (scheußlich detail-
lierten) Geständnissen weiteres Material gegen ihn in
der Hand. Abgesehen von den Alpträumen, die ich ge-
legentlich wegen der Geständnisse bekomme, scheint
es zwischen Sal und mir gut zu klappen. Ich habe ihm
gesagt, daß er, solange er unter meiner Führung steht,
gefälligst auf Morde und selbstzerstörerische Spiele
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zu verzichten hat, und er hat sich bisher offensichtlich
daran gehalten. Sal hat mir ein paar eher harmlose
Informationen über den Mob geliefert (nicht wert, an
Dich oder Mr. Kennedy weitergeleitet zu werden), mir
aber noch keinen Darlehenssucher vermittelt, den man
an die Teamsterpensionskasse hätte verweisen kön-
nen. Einzig deswegen habe ich ihn als Informanten
angestellt, und in der Hinsicht hat er mich enttäuscht.
Ich fürchte, einen Beweis für die Existenz »alterna-
tiver« Pensionskassenbücher zu erbringen, wird eine
mühsame und langwierige Angelegenheit werden.
Lenny Sands scheint fast so vielen Herren zu die-
nen wie Du. Er ist freier Mitarbeiter von Hush-Hush
(Gott, was muß das für eine häßliche Arbeit sein!),
Sals Partner bei den Spritztouren und insgesamt ein
Nutznießer des organisierten Verbrechens von Chicago.
Er behauptet, er sammle gerade Informationen dar-
über, wie der Pensionsfond funktioniert, und hält die
Gerüchte, Sam Giancana zahle einen Bonus für die
Vermittlung von Darlehensgesuchen, für glaubhaft. Er
glaubt außerdem, daß es »alternative«, möglicherweise
codierte Pensionskassen gibt. Kurz, ich habe weder
von Sands noch von D’Onofrio irgendwelche konkreten
Informationen bekommen.
Andererseits sieht es so aus, als habe Mr. Hoover
auf eine Möglichkeit, gegen das Chicago-Syndikat
vorzugehen, verzichtet. Court Meade schnappte beim
Abhören der Schneiderei einen (vorsichtig formulierten)
Hinweis auf einen Raubüberfall auf. Die Chicagoer
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Mob-Soldaten Rocco Malvaso und Dewey Di Pasquale
haben offenbar bei einem (nicht vom Chicagoer Mob
kontrollierten) Würfelspiel mit sehr hohen Einsätzen
in Kenilworth 80.000 Dollar geraubt. Die Agenten des
Top-Hoodlum-Programms haben die Information um-
gehend per Telex an Mr. Hoover durchgegeben, und
wurden von ihm angewiesen, diese nicht an die für
eine eingehendere Untersuchung zuständigen Behörden
weiterzuleiten. Mein Gott, was für verdrehte Prioritä-
ten dieser Mann hat!
Damit will ich schließen. Laß mich Dir zum Schluß
gestehen, daß Du mich nach wie vor in Erstaunen
versetzt, Kemper. Gott, Du ein CIA-Mann! Und jetzt,
wo der McClellan-Untersuchungsausschuß
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