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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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ist spärlich beleuchtet, die Garage halbleer. Je tiefer er hineinkommt, desto deutlicher erkennt er, dass hier die Befreiung vorbereitet wird ; einzelne laufende Polizisten, Schatten von Menschen, Zivile mit Waffen, hastende Ordonanzen. Da so viele der Polizisten zivil gekleidet sind, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, erregt er selbst keine Aufmerksamkeit.
    Schließlich befindet er sich im Keller direkt unter dem israelischen Mannschaftsquartier. Er braucht nicht zu fragen. Hier ist es. Die Befreiung wird vorbereitet. Eine Gruppe Polizisten und Sprengstoffexperten steht still da, die Männer zeigen nach oben, sprechen leise miteinander. An der Decke ist eine plastikartige Masse angebracht, vermutlich Sprengstoff, mit Latten abgestützt. Er sieht sofort, was sie planen. Sie wollen durch ein Loch im Fußboden den Weg ins israelische Mannschaftsquartier freisprengen.
    Sie diskutieren die Dicke der Decke. Jemand hat eine Zeichnung.
    Er stellt sich neben sie, fragt nach einer Weile, ob sie die Sprengung mit einem Angriff von außen koordinieren wollen. Er findet, dass dies ja eine wichtige Frage ist . Sie sehen ihn an und fragen, wer er ist. Er zeigt korrekt seine Akkreditierung, die er unter dem Hemd verborgen hat. Sie werfen ihn auf der Stelle hinaus, unter Wahrung der Höflichkeit.
    Welche Einsichten vermittelt ihm dies?
    Ziemlich viele. Unter anderem, wie der schöne und gewissermaßen ergreifende deutsche Traum von Heiterkeit hier zunichte gemacht wird. Man hatte den Traum, das Spielerische und die Offenheit würden die dreizehn Jahre währende Geschichte auslöschen.
    Die Geschichte nahm hier eine Wendung, allerdings nicht so, wie man es sich erthofft hatte.
    Zwölf Stunden später stand er auf dem offenen Platz vor dem israelischen Quartier und wandte, wie die anderen, das Gesicht nach oben, und sah den Hubschrauber abheben.
    Er hatte den Tod an Bord, aber das wusste ja niemand.
    Seit jenem Tag kann er keinen Hubschrauber dieses Typs sehen, ohne an München 1972 zu denken. Terroristen und Geiseln sollten, den Forderungen entsprechend, mit dem Hubschrauber zu einem Flugplatz gebracht werden, um von dort nach Kairo zu fliegen. Dort sollten weitere Verhandlungen geführt werden.
    In der Zwischenzeit sollten, das wussten alle, keine Wettkämpfe stattfinden.
    Plötzliche Einsicht: Befreiung jetzt, oder die Olympischen Spiele in München müssen abgebrochen werden.
    Die Logik der Spiele verlangte nach sofortiger Befreiung. Um jeden Preis.
    In dieser Nacht sollten sie schreiben. Lången Olsson und Janne Mosander und Stig Bodin und Lennart Ericsson und er selbst, sie arbeiteten schweigend, in einer eigentümlichen Ruhe, sehr still und effizient. Sie lieferten in dieser Nacht siebzehn Seiten, und irgendwo in Stockholm saßen andere und umbrachen die Seiten und schnitten und montierten. Er hatte ja nie in dieser Form für die Zeitung gearbeitet, nur Artikel für die Kulturseite verfasst.
    Er sollte sich an diese Nacht erinnern wegen der Ruhe, und weil sie einander mochten.
    Sie waren wie eine Mannschaft. So konnte es auch sein.
    In dieser Nacht leerte sich die Grube nicht.
    Gegen Morgen – wenn sonst nur an die zwanzig der Ausdauerndsten und Betrunkensten sich in der Bar ausbreiteten und auf den Sofas einzuschlafen pflegten – verdichtete sich die Menge. Der Hubschrauber war irgendwo gelandet, nicht Riem, vielleicht Fürstenfeldbruck, ja, es war letzteres, ein Militärflugplatz. Ständig wurden neue Fernsehkameras montiert, und statt der gewöhnlichen trunken-schläfrigen Atmosphäre konnte man in den Stunden nach Mitternacht eine immer nervösere, aggressivere Stimmung ausmachen.
    Eine Pressekonferenz wurde für vier Uhr in der Früh angekündigt, aber eine halbe Stunde zuvor hatte er die Wahrheit schon von einem israelischen Journalisten erfahren, den er einmal als junger Student an der Universität kennengelernt hatte. Sie standen in der Mitte des Raums, und der israelische Journalist sagte mit unnatürlich distinkter Ruhe Ja, sie haben alle erschossen , er fragte verständnislos Welche alle denn? und die Antwort kam mit der gleichen unnatürlich eiskalten Ruhe: Sie haben alle Israelis getötet, es stimmt, alle, und dann er selbst verwirrt Welche sie, wer hat geschossen? und die Antwort mit kaum spürbarer, unterdrückter Ironie Alle Geiseln sind tot, alle erschossen, aber wer geschossen hat, weiß wohl niemand, Deutsche oder Araber vermutlich , und dann Ist das wahr? und mit derselben äußerst beherrschten Stimme

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