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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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gemacht, aber es hat ihm nicht gefallen, was er gesehen hat . Die Schauspieler ausgezeichnet, Max glänzend, Bibi ergreifend, Eileen die beste. Aber das Stück!
    Er mag das Stück ganz einfach nicht. So simpel ist es.
    Aber im Sardi’s ist die Decke eingestürzt.
    Burry Fredrik wiederholt mit der Penetranz einer Verrückten Wir sind abgeschossen , und er sagt Aber so schlimm kann es doch nicht sein , und sie wiederholt Doch PO, wir sind abgeschossen.
    Er blickt sich um.
    Freunde und Feinde und Geier und Füchse und Habichte, alle sind sie fort. Nur die treuen Verlierer sind noch um sie geschart. Der Übersetzer, sein Freund vom UCLA, sitzt ganz allein in einer Ecke; es war eine Chance für seine Ehe, jetzt keine Möglichkeit mehr. Unfug? Nein, kein Unfug. Das Sardi’s ist ein verlassenes Schlachtfeld, abgestandener Zigarettenrauch, Asche auf den Tischen, umgeworfene Weingläser. Als ob die Schlussszene des Stückes, das sie jetzt zu Ende gebracht haben, dieses Abschlussfest geprägt hätte. Das Theaterstück Die Nacht der Tribaden , das jetzt vorbei ist, und das dennoch weiterging, als habe man nicht begriffen, dass das Fest zu Ende war. Die gleiche graue Dämmerung. Die Nacht der Tribaden . Er kann die Repliken jetzt auswendig. Graue Dämmerung. Die Nacht der Tribaden . Und Marie David, die betrunken war und sich erbrach und plötzlich Strindberg so sehr mochte.
    Die gleichen ausgetrunkenen Gläser, die gleiche Asche über die Tische verschüttet. Und dann? Weitergehen?
    Er fühlt sich plötzlich vollkommen ruhig, fast so, dass er lachen könnte. Freund, in der Stunde der Verwüstung, wenn dein Innres von Dunkel bedeckt!, denkt er, und vergisst die nächste Zeile des Gedichts. In der Stunde der Verwüstung! Wie schön. Er ist jetzt sehr betrunken. Es waren trotzdem sechs fantastische Wochen, denkt er. Wir sind abgeschossen , hört er sie noch einmal sagen.
    Und es ist vollkommen richtig. Sie sind abgeschossen, und es war fantastisch, aber mehr war es nicht.
    Nach neunzehn Vorstellungen wird Die Nacht der Tribaden abgesetzt.
    Das Theater ist voll besetzt, elfhundert zahlende Zuschauer, jeden Abend, weil man die Karten für beinah nichts über das TKTS verramscht, einen öffentlichen Kartenvorverkauf. Für die dritte Vorstellung werden lediglich fünfzehn Karten zum vollen Preis an der Abendkasse verkauft. Dennoch ist der Saal voll. Wirtschaftlich gesehen ist die Katastrophe also schon nach wenigen Tagen eine offensichtliche Tatsache.
    Sie sind abgeschossen. Er fliegt nach Hause.

Kapitel 11
FRUCHTSCHALE
    Vom Broadway kehrt er zurück zu dem, was er nicht in den Griff bekommt . Er hat es seit dem Frühjahr 1971 nicht in den Griff bekommen, jetzt bekommt er es weiter nicht in den Griff.
    Es ist der Roman über die schwedische Auswanderung nach Argentinien 1910. Exil und Zerfall.
    Vielleicht hat der Begriff Exil etwas an sich, was ihn beunruhigt. Oder es ist das Wort Rastlosigkeit , das ihm Angst macht. Er selbst will sich ständig und voller Ungeduld fortbewegen, aber gerade in der Fortbewegung, im Moment des Sprungs, retardiert er und verliert sich in Tagträumereien. Manchmal über eine kleine Insel in einem See und das schwerfällige Ruderboot und Karten auf Butterbrotpapier oder über die Küche der Mutter.
    Das letztere sicher unverdauter Freud.
    Gleichzeitig versetzt ihn der Gedanke, über eben dies, also das Private zu schreiben, in Angst und Schrecken. Lieber baltische Legionäre oder gut kaschierte Hammerwerfer.
    Das Wort kaschieren hat er am Theater gelernt. Es bedeutet verbergen.
    Nichts gegen die Küche. Die zwei Wochen in der Küche der Mutter, als er über München schrieb, waren so schön. Sie bewegte sich leise im Hintergrund und versorgte ihn mit Essen.
    Er brauchte nur den Schnabel aufzusperren.
    Vor dem Fenster lag die Kirche von Bureå, ein schwedischer Kirchenklassiker, 1919 fertiggestellt, eins von drei nationalromantischen Großwerken unter den Kirchen, zusammen mit Tengboms Högalidskyrka und der Masthuggskyrka in Göteborg. Hohe isolierte Lage im Zentrum, Sockel aus schwedischem Granit, Fassaden aus handgefertigten Ziegeln und unbehauenem Stein. Der Innenraum in naturweißer Kalkfarbe geschlemmt. Man begann während des Ersten Weltkriegs zu bauen, groß, rein, unglaublich schwedisch. Dies in einer Gemeinde, die aus dreitausend Kleinbauern und bitterarmen Arbeitern bei Bure Bolag bestand. Der Bau sollte, in heutigen Geldwert umgerechnet, vierhundertfünfundvierzig Millionen Kronen kosten.

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