Ein anderes Leben
festzulegen.
Gut ist gar kein Ausdruck! Das mit Abstand bedeckteste Urteil im schwedischen Theater existiert auch hier.
Nichts, sagt Burry Fredrik mit einem trockenen Lächeln, ist schwerer im amerikanischen Theater, als an einem Premierenabend zwischen neun und zwölf im Sardi’s Aufrichtigkeit zu finden.
Alle scheinen auf die eine oder andere Weise ein Verhältnis zu seinem Stück zu haben, und man muss schreien, um sich Gehör zu verschaffen, und alle scheinen, in dem Maße, wie die Temperatur steigt, überzeugt zu sein. Und wollen bekräftigen, mit unerhörtem Lachen und wahnsinnig aufrichtigen Umarmungen, dass sie Broadwaygeschichte erlebt haben und dass dieses Stück fünf Jahre laufen wird. Eine Frau in den Sechzigern hebt ihm ihr Teenagergesicht entgegen und versichert, dass ihr bester Freund in diesem Leben der schwedische Schauspieler Holger Löwenadler ist; er hört sich selbst sagen Ja, er ist seit langem tot, und sie lächelt ihn mit unverändert furchtbarer Freude an und sagt Fantastisch! Fantastisch! und gleitet auf irgendeine merkwürdige Art aus ihrer eigenen Umarmung. Der Übersetzer, ein Freund vom UCLA, den keine Schuld traf am Streit um den Vertrag, sitzt jetzt bleich und wartend mit seiner Frau an einem Tisch; sie sind noch verheiratet, und ein pyramidaler Erfolg wird die Liebe seiner Frau sicher kräftig verstärken, im entgegengesetzten Fall schnelle Scheidung. Er denkt: Man wird jetzt sehr bald den Börsenkurs meines Piece of Property festlegen, und er berührt viele Leben.
Ist es nicht immer so? Doch, sicher. Aber viel deutlicher gerade hier und jetzt.
Ab elf Uhr gehen die Fernseh-Rezensionen ein.
Drei sind sehr gut, eine ist schlecht, eine halb gut. Spielt keine Rolle. Alle warten sowieso auf die New York Times . Jemand ist gegangen, um das erste Exemplar zu holen, die Druckerei liegt ja nur einhundert Meter entfernt, alle fangen an, auf die Uhr zu sehen, man erwartet die magischen zwölf Schläge und die New York Times . Er denkt, dass es sehr eigentümlich ist – obwohl er selbst viele Jahre Kritiker war, im übrigen in einem Land, in dem die Kritik nicht soviel bedeutete –, dass eine Zeitung solche Autorität hat, und dass sie an einen ganz und gar menschlichen Kritiker gebunden ist, Gottes Sendboten am Broadway.
Dann schließlich kommt Burry Fredrik in die obere Etage des Sardi’s, wo das Gemurmel zu verebben scheint, als sie sich ihren Weg durch den Haufen von Enthusiasten oder schadenfroh Wartenden oder potentiellen Gewinnern bahnt, sie durchquert das Lokal und tritt an den Tisch, an dem Max und er sitzen, beugt sich herab und sagt leise und gepresst: PO, it’s bad .
Und Max blickt verwundert und beinahe kindlich verblüfft zu ihr auf: Is it really bad?
Und sie wiederholt, als sei sie gezwungen, sich durch ihre eigene Enttäuschung hindurchzukämpfen: Yes, it’s bad. We are in bad shape.
Binnen dreißig Sekunden hat das Gerücht alle erreicht.
Es ist, als wäre Feueralarm ertönt und jemand hätte im Saal einen Schaumlöscher betätigt: Die Stimmen plötzlich gedämpft, Gestalten mit zuvor festen Konturen zerfließen und lösen sich auf, Lächeln verblasst, man muss in aller Eile etwas erledigen. Es hat etwas mit dem Fokus des Auges zu tun, entdeckt er: wenn er eine dicht zusammenstehende Traube an der Bar betrachtet, wird sie undeutlich, und er kann plötzlich die Reihe von Flaschen hinter der Traube sehen, obwohl dies vorher vollkommen unmöglich war, da die Flaschen von den Menschen verdeckt waren, die sich jetzt aufgelöst haben; und plötzlich kommt es ihm vor, als sei das Restaurant halb leer. Nein, es leert sich in Windeseile und ganz, bis auf die nächsten Trauernden.
Trauerfeier! War das nicht das richtige Wort?
Eine Viertelstunde später sind vielleicht noch zwanzig Personen da; eine vollkommen mirakulöse Ausräumung, und als hätte man durch zuvor unsichtbare Notausgänge evakuiert.
Burry sitzt noch an ihrem Tisch, er sitzt noch bei ihr und bei Max auf ihrer anderen Seite, sie hat Tränen in den Augen und wiederholt fast mechanisch immer wieder, Clive Barnes hat im Radio gesagt, dass es glänzend war, aber das spielt keine Rolle, denn er ist nicht mehr bei der New York Times, und das ist verdammt ungerecht. Ungerecht. Er liest selbst die New York Times , vielleicht in der vagen Hoffnung, dass Burry alles missverstanden hat. Es ist eine negative Rezension, aber keine vernichtende. Ja, vielleicht doch. Es ist Richard Eder, er hat einen ordentlichen Job
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