Ein anderes Leben
es seien die schlimmsten Jahre seines Lebens gewesen, eine schmutzige, monotone und schlecht bezahlte Arbeit, von der er Gott sei Dank befreit worden sei. Sein Standpunkt sei, je mehr Sägewerke oder Papiermassefabriken stillgelegt und durch menschenfreundliche Arbeit ersetzt würden, desto besser, und er stehe ganz auf Mats Carlgrens Seite, den er im übrigen als einen großen Sportführer schätze.
Enquist erinnert sich seiner zwei Sommer unter der Rindentrommel in der Schleiferei und kann nichts erwidern.
Der Mann meldet sich glücklicherweise in der Diskussion nicht zu Wort.
Der Konflikt dreht sich jedoch bald um das Verhältnis des Theaters zur Meinungsfreiheit – und die Unklarheit, wer verantwortlicher Herausgeber ist; kurz gesagt, wer ins Gefängnis gehen muss, wenn es zu einem entsprechenden Urteil gegen das Stück kommt.
Viele bieten sich an, diese Verantwortung zu übernehmen, selbstverständlich auch die Autoren. Nach damals geltender Rechtslage kann im Prinzip jeder belangt werden, der mit der Vorstellung befasst ist; die Klagedrohung kann wie ein Scheinwerfer das gesamte Ensemble absuchen und die Frage, bei wem sie stehenbleibt, starke Nervosität hervorrufen. Vielleicht bei einem Schauspieler, der die Worte ausgesprochen hat, für die ja die Autoren moralisch verantwortlich sind.
Im Fall Chez Nous wirkt sich dies so aus, dass es zu einer Krankmeldung in einer der Hauptrollen kommt. Der Schauspieler, der den Sägewerkarbeiter aus Bureå spielen und die anstößigen Worte über Carlgrens Ungeeignetheit als Vorsitzender des Leichtathletikverbands aussprechen soll, wird unerklärlicherweise krank, ebenso der für ihn vorgesehene Ersatz. Neue Sägewerksarbeiter lernen und proben die Rolle, erkranken aber sämtlich, am Ende liest der Regisseur die Rolle vom Blatt , während das Publikum den Atem anhält.
Hinter der Hysterie verbirgt sich indessen ein wirkliches Problem. Alle sehen dies ein. Der Testfall Chez Nous liegt auch dem Vorschlag für eine neue Theatergesetzgebung zugrunde, den die Meinungsfreiheitskommission später erarbeitet, in der Ehnmark im übrigen mitwirkt.
Man könnte von einer Lex Chez Nous sprechen.
Das Stück löst noch weitere Konflikte aus, bei ihm selbst.
Die Geschichte handelt von einer Gruppe Journalisten in einer Zeitungsredaktion, die einen Fall von Wirtschaftskriminalität untersuchen. Im ersten Akt führen sie die Recherche durch, es ist die Aufdeckung einer grässlichen Geschichte. Trotz der schönen Musik, die dem Bühnengeschehen unterlegt ist, Mahler oder Albinoni, und trotz der Rhetorik, die direkt von freien Theatergruppen und ihren Träumen von freiem kollektivem Schaffen übernommen ist, wird den Zuschauern schließlich sehr klar, dass das Gewerbe, zu dem sich die Journalisten durchgraben, die Pornoindustrie ist. Ganz konkret: Geschlechtsverkehr zwischen einer bedauernswerten Prostituierten und einem Aal in einem Aquarium; letzterem sind aus Gründen des Tierschutzes die Kiefer mit Klebeband verschlossen.
Das Schockierendste ist jedoch etwas anderes: Am Schluß stoßen die Journalisten bei ihrer Grabungsaktion auf sich selbst. Sie finden den Besitzer der Zeitung.
Während der erste Akt Enthüllung ist, ist der zweite Akt Verhüllung: eine Reihe immer brillanterer intellektueller Erwägungen, warum die gefundene Wahrheit nicht öffentlich gemacht werden sollte.
Die besten Argumente, wenn man lügen will, sind immer die intellektuellen. Schließlich einigen sie sich alle darauf, dass Schweigen notwendig ist, weil es dem Kampf für die Meinungsfreiheit nützt.
Die enthüllende wie die verhüllende Instanz ist eine Zeitung. Expressen fühlt sich, möglicherweise zu Unrecht, desavouiert. Die Satire zielte vielmehr auf eine intellektuelle Scheinheiligkeit, wie sie überall in den Medien anzutreffen ist; aber Enquist, beim Kulturteil der Zeitung angestellt, erhält einen Brief des stellvertretenden Chefredakteurs Olle Petrini, der empört ist, oder eher außer sich vor Wut, und fragt, wie dieser Enquist ›mit der einen Hand Almosen entgegennehmen und gleichzeitig dem Geber ins Gesicht spucken kann‹.
Das mit den Almosen geht zu weit.
Er hat sein monatliches Gehalt nicht so aufgefaßt. Und auch nicht, dass seine einzigartige Freiheit auf der Kulturseite als Zwangsjacke dienen sollte. Er schreibt einen Brief an die Zeitungsleitung und kündigt.
Während der folgenden Wochen ist der Konflikt schmerzhaft. Der Chefredakteur Per Wrigstad lädt ihn zum Lunch ein und
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