Ein anderes Leben
schließt er den Roman trotzig mit der Feststellung ab: So war es, so ging es zu, dies ist die ganze Geschichte. Da sollte es zu Ende sein. Er würde nie wieder einen Roman schreiben, verkündet er. Wie einfältig.
Nach einem halben Jahr ziehen er und seine Frau um in die Sortedam Dossering 25 in Nørrebro. Nicht groß der Rede wert, pflegte er zu denken, ein Ort, ein neuer Ort, eine Art Rastlosigkeit. In seiner Familie hatte man immer am gleichen Ort gelebt, Jahrhunderte hindurch. Dasselbe Dorf; der einzige, der eine Reise unternommen hatte, war sein Großvater, zur Pelzausstellung in Stockholm 1930. Das war, als er und der Fuchs ihre Reise machten. Aber warum dann diese panische Unruhe bei so vielen in der Familie, woher kam sie ?
Man blieb nervös sesshaft in seiner Familie. Er selbst wechselt nervös den Wohnsitz.
Er will plötzlich einen Liebesroman niederschreiben, weil er glaubt, alles von der Liebe zu verstehen. Zum ersten Mal. Es wird dann ganz natürlich ein Roman über ein Monster. So kann es gehen.
Ein Stockwerk unter ihm wohnt ein Herr Clausen, an die siebzig Jahre alt.
Enquist, jetzt vierundvierzig Jahre alt, ist ein Schwede, der sich freiwillig dafür entschieden hat, in Dänemark zu leben. In der dänischen Öffentlichkeit, die fast immer kritisch ist gegenüber dem großen Bruder im Osten, wird dies als verblüffend, aber ermutigend angesehen, und die Flucht aus dem Land im Nordosten wird als ein Zeichen der Zeit beschrieben.
Er wird deshalb fast geliebt.
Er schreibt ein Theaterstück über die große dänische Schauspielerin Frau Heiberg und den von ihr verabscheuten und zugleich geliebten Hans Christian Andersen, es heißt Aus dem Leben der Regenwürmer . Dank großartiger schauspielerischer Leistungen von Ghita Nørby und Jørgen Reenberg wird das Stück drei Jahre lang auf der großen Bühne von Det Kongelige Teater gegeben, und zu seiner Verwunderung wird die Interpretation des Schweden, die ganz und gar nicht schmeichlerisch ist, akzeptiert.
Plötzlich eine neue Heimat. Alle versichern, dass er eine neue Heimat bekommen hat.
Er fühlt sich versichert, aber es bleibt das Gefühl, auf dünnem Eis zu gehen.
Dänemark ist weit offen wie eine windverwehte Ebene, und er versteht deshalb fast nichts. Über eine Ebene kann man mit geschlossenen Augen gehen, durch Wald nicht. Das verwirrt ihn, macht ihn unsicher. Es muss Geheimnisse geben, die er nicht erkennt.
Er liest regelmäßig Ekstra Bladet , um das Land zu verstehen, in dem er jetzt leben soll. In dieser Zeitung zeigt sich der Schmutz des Lebens, nur dieser Schmutz kann ihm dabei helfen, sein neues Land zu begreifen, das ist der Gedanke dahinter, wenngleich kein umwerfender. Er findet wieder, dass die Kompassnadel sich dreht, wie am Nordpol. Er weiß, dass es vielleicht einen Fehler gibt, und dass es sein eigener ist, und dass die Wahrheit über ihn bald ans Licht kommen wird, und dann.
Vor dem Haus in der Sortedam Dossering 25 liegt ein kleiner Garten, in dem kann man sich ein Bier genehmigen; mit den Jahren lernt er, das Bier aus einer Teetasse zu trinken, um zu vermeiden, dass geredet wird.
Herr Clausen leistet ihm dabei Gesellschaft.
An den Abenden notiert er sich Herrn Clausens Ansichten, weil er hofft, darin den Schlüssel zu seinem neuen Heimatland zu finden. Er kann noch schreiben, wenn auch in Grenzen; während dieser überraschend klaren Morgenstunden.
Er ist sicher, in Herrn Clausen seinesgleichen gefunden zu haben. Herr Clausen hat einmal einen Glassplitter ins Auge bekommen.
Herr Clausen weiß, dass der Schwede Schriftsteller ist, und möchte ihn etwas über das Dänische lehren; dazu gehören Einsichten, die die dänische Literatur betreffen, besonders H. C. Andersen. Er berichtet, unter Einbeziehung unklarer Einzelheiten, von einigen Andersen-Märchen, besonders der Schneekönigin , aber einige von ihnen wirken in seiner Version auf eine gewisse Weise implodiert, als wären sie von einem unerhörten äußeren Druck nach innen zerplatzt oder durch innere Leere zusammengedrückt.
Es gilt, Herrn Clausen zu deuten.
Er trauert um Freunde, die er in Uppsala verloren zu haben glaubt.
Am Telefon erreichen ihn Mitteilungen über starke Unruhe. Er hat einen großen Freundes- und Bekanntenkreis gehabt, die Freunde sind alle seit vielen Jahren verheiratet, und seine plötzliche Flucht lässt den Boden erbeben. Ist es ein Vorzeichen? Werden auch andere Ehen zerbrechen?
Herr Clausen mag den Schweden. Er vertraut sich ihm
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