Ein anderes Leben
Vorderseite, dem Sortedam zugewandt, wo es schön ist.
Knut Hamsun wohnte hier in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Er lebte in der Seitenstraße St. Hans gade, als er Hunger schrieb, im fünften Stock, inzwischen Bordell; es waren nur hundert Meter dorthin von dem idyllischen Platz, an dem Herr Clausen und er saßen.
Ein freundlicher pakistanischer Kleinunternehmer mit einem Laden in der St. Hans gade verkaufte zu ungesetzlichen Zeiten Wein. Die Flaschen verwahrte er hinter einem gelben Plastikvorhang. Wenn es schwer wurde, und er haben musste, ging er dorthin. Wenn er in die Tür trat, hielt er ganz ruhig zwei Finger in die Höhe, und der pakistanische Freund bückte sich schweigend und holte zwei Flaschen Weißwein hervor, als ob nichts wäre.
Er betrachtet Herrn Clausen immer mehr als eine Gestalt in einem zukünftigen Lebensroman, weiß aber nicht, wie er ihn kaschieren soll. Er kaschiert diese Sorge versuchsweise mit Weißwein von dem pakistanischen Freund.
Herr Clausen scheint sehr daran gelegen zu sein, ein großes Unrecht anzudeuten.
Es war peinlich gewesen, von der Ehefrau ertappt zu werden, meint er mit einem aufgekratzten Lachen, das schwer zu deuten ist; er hatte damals nicht an der Sortedam Dossering gewohnt. Es war so vor sich gegangen, versteht man, dass Herr Clausen und seine Schwester in Herrn Clausens damaliger Küche in Frederiksberg gestanden und sich geküßt hatten, und da war seine Frau Bettina, geb. Eriksen, die ihren üblichen Mittagsschlaf gehalten hatte, aufgewacht und hatte Geräusche aus der Küche gehört. Sie hatte Geräusche aus der Küche gehört.
Man musste deuten. War dies nicht seine Lebensaufgabe, zu deuten, auch wenn er zur Zeit nicht schreiben konnte? Er deutete es so, dass Herr Clausen und seine Gerda da gestanden hatten, am hellichten Tag, und Schwester Gerda, die bei der Vorbereitung des Familienessens am Abend mithelfen sollte, hatte die Hand in Herrn Clausens Hose. Frau Bettina, geb. Eriksen, konnte den vertrauten Anblick von Herrn Clausens Eichel in der massierenden kleinen Hand seiner Schwester vor sich sehen. Vertraut war Herrn Clausens Eichel, ebenso die fleischige Hand seiner Schwester, nicht aber die Kombination. Wir standen nur da und schäkerten, und meine Frau hat es missverstanden . Geschwisterliebe war etwas Reines, konnte jedoch missverstanden werden. Er selbst, der viele Jahre zuvor Regieassistent bei Vilgot Sjöman war, als dieser seinen Inzestfilm Syskonbädd drehte – er wollte sich zum Regisseur ausbilden lassen, weil junge Autoren sich der veralteten Welt des Films annehmen sollten –, nickte nur einsichtig. Er erinnert sich mit Mühe daran, dass Bibi Andersson und Jarl Kulle in diesem Film die unnahbaren Stars waren. Der beste Kumpel dort, mit dem er sich unterhielt, war der Standbildfotograf Jan Halldoff, der später in dem auf Chez Nous basierenden Film Regie führen sollte – oder ›Tjeno‹, wie Halldoff gesagt hatte. War es 1965 gewesen, als er dem Film zuliebe das Schreiben aufgeben wollte? Es fällt ihm schwer, sich zu erinnern, war es wirklich geschehen, was habe ich nicht alles mitgemacht! Die Erinnerung verschwommen wie der morgendliche Nebel über dem See vor seinem Arbeitstisch, dann hebt sich der Nebel, nur die Wasserfläche bleibt zurück, wie hängt das zusammen.
Herrn Clausens Frau hatte missverstanden.
Sie schrie wohl wie eine Krähe und rannte.
Er versucht, die Andeutungen, die folgen, zu interpretieren. Sie schrie und rannte . Sie holten sie ein. Nur eine Stunde bevor das Essen stattfinden sollte (es wurde wegen Unpässlichkeit abgesagt), gestanden die beiden Liebenden kurz und bündig. Sie hatten sich lieb. Mehr nicht. Bleibende Irritation?
Herr Clausen unterließ es, zu sagen wie lange, aber auf jeden Fall ein Jahr. Vollzogener Beischlaf, Versteckspiel, Heimlichkeiten? Es war ja so, dass Gerda und ich uns immer lieb gehabt hatten, und das war doch ganz natürlich. Um das Natürliche zu unterstreichen, fragte Herr Clausen, ob er selbst nicht eine Schwester gehabt habe. Er verneinte dies, bekräftigte jedoch, dass er eine Pflegeschwester gehabt habe, Eeva-Lisa.
Herr Clausen fragt da, ob er sie nicht lieb gehabt habe; es ist eine rätselhafte Frage, er bekräftigt, Herr Clausen nickt zufrieden.
Mit seiner Schwester Gerda war es so, dass sie Bettina hintergangen hatten. Sie hatte sich daraufhin überrumpelt gefühlt. Doch nach der ›Enthüllung‹ hatte Herr Clausen ein sowohl vernünftiges als auch ehrliches
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