Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
Vom Netzwerk:
Jaa? Jetzt verteidigst du dich wieder und öffnest dich nicht deinen Gefühlen, du hast ein Problem mit deiner Verweigerung, PO.
    Er sieht wütend und schweigend ein, dass er dieses Vorpostengefecht verloren hat und, was schlimmer ist, vielleicht die Sympathie des einen oder anderen Kameraden.
    Er hätte sie umbringen können. Die Beschuldigung war unerhört. Er hätte sich aufgespielt.
    Alles. Nur das nicht.

Es war Kaj, der anfing, sie Schwester Ratched zu nennen.
    Es gab ihnen allen eine Art Selbstgefühl, sie hatten ja den Film gesehen. Es war nicht gut für Schwester Ratcheds Autorität, sie wurde ausgehöhlt. Sie hatte einmal auf eine Frage hin erklärt, ihrerseits keine Alkoholprobleme gehabt zu haben, habe aber das Minnesota-Modell während eines Monats in den USA studiert. Wer nicht selbst einmal Alkoholiker gewesen war, hatte nicht die rechte Autorität, das war die Stimmung in der Gruppe.
    Denen, die in der Scheiße gesteckt hatten, konnte man im übrigen nur schwer etwas vorlügen.
    Am Donnerstag hatte Schwester Ratched eine Stunde über typische Verhaltensmuster unterrichtet, seinen Alkoholismus vor seiner Umgebung zu verbergen und abzustreiten. Sie hatten andächtig, aber lächelnd zugehört, und hinterher im Essraum hatte Kaj zusammengefasst:
    »Die Hühnermama hat die Füchse unterrichtet.«
    Sie lachen lange. Diese Risse im Vertrauen! Er fühlt sich in besserer Stimmung.
    Sonst ging es Kaj nicht gut. Als sie den Film vorführten, der zeigte, wie die Leberfunktionen beeinträchtigt werden und die Leber Wasser in die Bauchhöhle entlässt, so dass der Bauch grotesk aufgebläht wird, wurde Kaj leichenblass, ihm wurde übel, und er bat, hinausgehen zu dürfen. Das verstand man ja. Kajs Bauch war abnorm groß, wie ein Basketball, obwohl er sonst schlank war, und er war erst fünfunddreißig. Sie versuchten hinterher, ihn mit eigenen Erfahrungen zu beruhigen, aber Kaj blieb den ganzen Abend schweigsam. Er sagte, er habe Angst davor zu sterben. Aber das hatten ja alle, auch er selbst, obwohl er manchmal, immer mehr, sich ein wenig sehnte. Allerdings nicht gerade jetzt , denn jetzt war Krieg, und er war keineswegs paranoid, sagte er sich mit Nachdruck , aber er würde sich nicht fertigmachen lassen.
    Besser sterben. Aber nicht fertiggemacht.
    Die Bekenntnisse sind ansonsten ein Kinderspiel.
    Diesmal hat er wirklich etwas zu bekennen. Er hat ja angesammelt, nicht nur eine Woche lang, sondern über mehrere Jahre. Überhaupt nicht so schwer wie beim Samstagsgebet, als er klein war und keine noch so winzige Sünde zusammenkratzen konnte.
    Hier ist alles so leicht, so heiter. Er kann ja auf ein ordentliches Repertoire zurückgreifen. Bei dem wiederkehrenden Punkt Fünf Räusche, die ich am liebsten vergessen möchte erzählte er mit fast literarischen Ambitionen davon, wie er sich zum Beispiel auf dem Flugplatz in Wien in die Hose gemacht hat. Sie lachen und mögen ihn. Für einen Moment können sie die Leitungsperson vergessen, sich nur still gegenseitig mögen und von dem erzählen, was sie gequält hat. Sie haben das Quälende ja gemeinsam.
    Am Samstag soll er seine Kinder treffen, die auf Angehörigenbesuch kommen und zugleich darüber belehrt werden, wie er fortan behandelt werden soll . Er freut sich darauf. Er muss mit ihnen sprechen. Sie kommen auch, werden aber an ihm vorbeigeschleust in einen Angehörigenraum und dort den ganzen Nachmittag über die Bedingungen für co-abhängige Angehörige unterrichtet; er wartet ungeduldig, er sieht sie durch eine Glastür und versucht zu mimen, denn Geräusche dringen offensichtlich nicht durch, aber sie werden fortgeführt, das ist etwas, was er schon früher einmal erlebt zu haben meint. Aber gegen vier Uhr kommt Tomas hereingeschlendert und sagt: Ich habe Ihre Kinder nach Hause geschickt . Wie gelähmt fragt er, warum. Tomas sagt freundlich Unserer Einschätzung nach brauchen Sie Ihre Ruhe und sollen sich auf die Arbeit in der Selbsterfahrungsgruppe konzentrieren, und dann war die Leitung ein wenig unzufrieden damit, dass Sie sich bisher noch nicht richtig einbringen wollten .
    Gleichzeitig erfährt er, dass er jetzt totales Telefonverbot hat und dass den Kindern gesagt worden ist, sie sollten nicht versuchen, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Er fühlt sich plötzlich eiskalt rasend, das Spiel um das Brechen seines Widerstands hat jetzt ein neues Niveau erreicht, glaubt er zu ahnen, sagt aber sehr ruhig:
    »Sie haben die Rechnung ohne mich gemacht.«
    Später am Abend

Weitere Kostenlose Bücher