Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
Vom Netzwerk:
sagt, dass er dreiundzwanzig Jahre alt sei und über einen Sommer Erfahrung in einer psychiatrischen Klinik verfüge. Wie fühlen Sie sich? fragt er. Gut. Sie sind nicht unruhig? Nein, ich fühle mich gut. Kümmern Sie sich nicht um Jurma, kümmern Sie sich nur um sich selbst, versuchen Sie sich zu entspannen . Ich bin entspannt. Sie haben eben im Büro ein wenig nervös gewirkt. Sind Sie nervös? Nein, ich glaube nicht.
    Der Blutdruck ist normal.
    Warum messen Sie den Blutdruck, fragt er. Geht es Ihnen darum, Macht auszuüben? Der junge Psychologe namens Tomas verneint dies, aber mit einem besorgniserregenden kühlen Lächeln. Der Krieg ist eingeleitet.
    Am dritten Tag haut Jurma ab.
    Das System hat Jurma ausgestoßen wie einen Fremdkörper. Er ist sicher verloren.
    So fängt es an.

Schon am Ende der ersten Woche betrachtet die Leitungsgruppe ihn als einen Problemfall.
    Er gibt sich Mühe, sich in die Gruppe zu integrieren. Er verschmilzt auch mit ihr. Es gibt unter diesen Insassen eine Kameradschaft, fast Liebe, die ihm, so glaubt er, das Leben rettet. Er weiß noch nicht so viel über diese fünfzehn, ihren Hintergrund, ihre Einsamkeit, ihre Träume, von der ganzen Scheiße wegsterben zu können, ihre Nächte in den Ameisenhaufen, ihre durchlebten Höllen, ihre Scham, ihre verzweifelten Angehörigen und angsterfüllten Kinder. Aber weil er dies alles durchgemacht hat und weiß, dass sie wissen, ist die Gemeinschaft sofort da, und er kann mit ihnen fast aufrecht gehen und die Scham aushalten.
    Ihm ist ja bewusst, dass er sich schämt. Gäbe es nur jemanden in dieser Hölle, der mehr Grund hätte sich zu schämen als er! Dann würde er sich dieses Schambedrückten annehmen, als Wohltäter!
    Er findet keinen. Schließlich denkt er: Wir sind alle gleich.
    Liegt dann das Problem bei der Methode? Oder bei ihm selbst. Er ist nicht sicher. Vielleicht sitzt es in ihm selbst. Er stellt fest, dass alle Eingelieferten gemeinsam beschlossen haben, dass die Behandlung richtig und gut ist . Das ist seltsam. Doch weil er vermutet, dass er selbst unzurechnungsfähig ist, beschließt er, sich anzupassen. Aber wenn er sie fragt, warum sie sich hierfür entschieden haben, führen sie an, dass sie sonst nach Hause geschickt werden. Die letzte Chance. Alle haben Angst. Sag ja oder stirb .
    Er weiß nicht ein noch aus. Außerdem vermutet er, dass die Leitung sich Sorgen um ihn macht. Er wirkt fast populär in der Gruppe, bäumt sich aber auf, und der Ansteckungseffekt ist real. Der junge Psychologe, der ihm immer den Blutdruck misst, fragt aufs neue: Sind Sie der Meinung, dass Sie in irgendeiner Weise über unseren Behandlungsregeln stehen , und er nimmt sich zusammen und antwortet Nein, ich tue, was alle anderen tun. Sie müssen nächste Woche daran arbeiten, sich zu integrieren . Wie denn integrieren. Wir werden sehen, Liljenberg war heute morgen etwas unzufrieden mit Ihnen .
    Sie machen sich Sorgen. Der Gruppe scheint es auf beängstigende Weise gutzugehen.
    In der Selbsterfahrungsgruppe am Morgen des fünften Tags, als sie alle in einem Kreis sitzen und voller Angst darauf warten, wer als erster spiegeln und Gefühle offenlegen und am liebsten in Tränen ausbrechen soll, wird er von der Oberschwester entlarvt, die seltsamerweise Schwester Ratched in Einer flog über das Kuckucksnest gleicht. Sie bemerkt, dass die Kreislinie nicht regelmäßig ist, sondern dass er eine Ahnung außerhalb der übrigen Selbsterfahrungsgruppe sitzt.
    Äußerst freundlich stößt sie auf seine Außenseiterposition herab und nagelt ihn berechtigterweise fest.
    PO? Jaa? Geht es dir gut? Prima. Fein, PO, darf ich dich etwas fragen … sitzt du gut? Jaa?? Du sitzt ein bisschen hinter dem Kreis, hast du das Gefühl, dass du außerhalb der Gruppe stehen möchtest? Neee … PO? Willst du nicht deinen Stuhl ein bisschen näher heranrücken … an uns andere? Natürlich. Wie fühlst du dich jetzt? Gut … ich habe nur so lange Beine, dass … PO? Jaa … Hast du das Gefühl, dich verteidigen zu müssen? Was? Doch, du versuchst dich zu verteidigen, kannst du jetzt erzählen, wie du dich fühlst, fühlst du dich den anderen in der Gruppe ein bisschen überlegen? Neee … aber ich habe so lange … PO? Jaa … Erzähl jetzt mit eigenen Worten, wie du dich hier drinnen fühlst, jetzt, wo du dich mit der Gruppe vereint hast und dich ihr nicht überlegen fühlst, aber verteidige dich nicht, erzähl einfach! Aber ich habe mich doch gar nicht überlegen gefühlt … PO?

Weitere Kostenlose Bücher