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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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wie man sich verteidigt. Alte Kindheitserinnerungen kommen hoch. Die Panzersperren gegen die deutschen Angreifer, die er im Wald gebaut hat! Er ist jedoch unter Freunden, sie sprechen mit freundlich zurechtweisender Stimme zu ihm, und sie sind alle im Schloss Westberlin von der DDR umschlossen, dem Staat, der – wie er! – den Sport todernst nimmt.
    Im Innersten scheint er diesen todbringenden Ernst zu lieben. Einem Lackmuspapier gleich, in das Berliner Gebräu getunkt, nimmt er Farbe an.
    An einem Tag kann er mit Biermann und seinem Freund Robert Havemann in der berühmten, gut überwachten Wohnung in der Chausseestraße sitzen und am nächsten atemlos und mit totaler Identifikation Wolfgang Nordwigs Weltrekordversuch im Dienst des DDR-Regimes verfolgen. Einen Tag isst er in Ostberlin mit seinem schwedischen Verleger Thomas von Vegesack und dem Vorsitzenden des ostdeutschen Schriftstellerverbands, Hermann Kant, zu Mittag, der später sein Ansehen verlieren und als Stasi-Agent definiert werden sollte; er hat Kants Roman Die Aula gelesen und war angetan.
    Kant erzählt eine Geschichte.
    Er hatte eine Lesereise gemacht und auch vor einer Gruppe von Grenzpolizisten an der Mauer gelesen, deren Aufgabe es war, von den Wachtürmen auf eventuelle Flüchtlinge zu schießen. Die jungen Soldaten hörten andächtig zu. Nach der Lesung dankt ihm der Chef der Grenzpolizisten und überreicht Kant ein Erinnerungsgeschenk, das Miniaturmodell eines Wachturms mit kleinen Wachsoldaten, die mit Maschinenpistolen ausgestattet sind. Er bedankte sich höflich für das Geschenk.
    Die drei schütteln alle den Kopf, ein leichtes Seufzen, ein trauriges Lachen. Hermann Kant erzählt die Anekdote sehr einfach und schön. Der Autor erntet Anerkennung könnte die ironische Überschrift sein. Es entsteht ein plötzliches Einvernehmen, der Untertext der Anekdote ist ein fast flehentliches Dieses System ist irreversibel, was kann man machen? Das Schweigen der drei am Mittagstisch, das Vermeiden von Kommentaren, abgesehen davon, dass sie alle ein leises schrecklich! murmeln, gleichsam die stillschweigende Missbilligung der Gedankenlosigkeit der Wachsoldaten, die aus dem Geschenk an den gefeierten Schriftsteller ersichtlich wird, der später verachtet wird, also eine fast lautlose Kritik am System; dies alles trägt bei zu einem charakteristischen Gespräch im Frühjahr 1970 in Ostberlin.
    Er ist in die Mitte des europäischen Wahnsinns eingetaucht, und deshalb ist es richtig von ihm, über Sport zu schreiben.
    Er muss sich nach allen Seiten verteidigen. Das ist die Lage. Dann zurückkehren an den Marmortisch in der Meinekestraße.
    Plötzlich schreibt er – zum ersten Mal in seinem Schriftstellerleben – fast gegen seinen Willen über sich selbst. Die Fahrt mit dem Fahrrad zum Tisch des Herrn, die Himmelsharfe, Greifswald. Über eine Mutter, und einen Vater, den es nicht gab. Gut maskiert, aber dennoch: zum ersten Mal.
    Vielleicht sind es der Abstand und das Eingeschlossensein in Berlin, die es möglich machen.
    Die Westberliner intellektuelle Linke, der er begegnet, ist furchtbar artikuliert. Er vermutet, dass das Jahr 1968 für Schweden mehr mit Paris verknüpft ist. Aber ein Jahr später vertiefte sich die Revolution, und das geschah in Berlin, wo er sich befand: Hier artikulierte man sich besser, handelte desperater, zog schneller extremere Schlüsse und verdeutlichte Gegensätze spektakulärer.
    Seine Aufgabe ist jetzt, über einen mogelnden Hammerwerfer aus dem oberen Norrland zu schreiben. Es ist, als glitte die Geschichte langsam nach Schweden hinüber, dank des Aussichtspunkts innerhalb der Mauern.
    Er lernt den Geruch von Tränengas kennen.
    Die Demonstrationen sammeln sich immer weit unten am Olivaer Platz und wimmeln den Kudamm hinauf. Die Sprüche kann er schnell, Einen Finger kann man brechen, fünf Finger sind ne Faust, Mao-Tse-tung! Oder andere, eher sportliche Slogans, von den Heimspielen der Hertha BSC geliehen und umgemodelt: HA-HO-HE, Springer in die Spree!!! Am Anfang gab es eine Phase, die freundlich und gutherzig war, er zog mit zwischen den Ketten schwer bewaffneter Polizisten, und der Zweck war gut . Dann wurde es schlimmer, Tränengas und Gewalt und Gegengewalt, gegen Ende konnte er an frühen sonnigen Morgen hinausgehen in den merkwürdig schweren Berliner Geruch, den er nie vergessen wird, und verstehen, dass Aktionsgruppen der RAF in der Nacht aktiv gewesen waren: Bankfenster waren eingeschlagen, ein Meer von Glas auf

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