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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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nach ideologischem Ausgangspunkt. Vielleicht Das Imperium des Bösen , vielleicht Die sogenannte DDR . Die Zone . Vielleicht das edel erstrahlende Paradies DDR .
    Im Inneren der Mauer ein Aufruhr, vermutlich. Er war zuerst nicht sicher.
    Wenn er ein Buch über Sport schreiben wollte, war es jedoch von dem Punkt aus, von dem diese Geschichte betrachtet wurde, also Westberlin, unmöglich, den umschließenden Staat, der die Mauer gebaut hatte, die DDR, zu übergehen.
    Also Das Imperium des Bösen oder Das Antifaschistische Bollwerk . Die DDR war außerdem der Staat, der mehr als irgendein anderes Staatsgebilde in der Geschichte den Sport politisch instrumentalisierte. Die gehasste und rätselhafte DDR hatte sich, wie die Welt bald entdecken sollte, dafür entschieden, dass Sport und Politik zusammengehörten. Ein überwältigender Berg von olympischen Medaillen, so der Gedankengang des Zentralkomitees, würde zwangsläufig zu einer Anerkennung führen, zuerst der DDR, dann der Überlegenheit des Kommunismus. Deshalb auch Dopinglabors, die zunächst sehr geheimen, dann aufgedeckten. Hierüber wusste man in den frühen siebziger Jahren wenig. Doch hiervon sollte ja das Buch – außerdem – handeln: Nicht nur von einem Vater und seinem Sohn, sondern von Sport und Politik. Und von einem Schummler.
    Er fand viele Freunde in dieser neuen deutschen Linken, und für sie alle war die DDR ein sozusagen umschließendes Problem. Aber kaum wegen ihrer Instrumentalisierung des Sports für politische Zwecke. Als Beispiel für versteinerten Realsozialismus war die DDR für die neue Linke eher ein ausgemachtes Hassobjekt. Ein anderes war selbstverständlich der Weltimperialismus in seiner amerikanischen oder westdeutschen Form. Ein drittes war ebenso selbstverständlich die Sozialdemokratie.
    Die Klassenverräter.
    Weit später sollte Der Sekundant , wie der Titel des Romans am Ende lautete, zahlreiche ideologische Interpretationen erfahren. Eine wiederkehrende Deutung ging so: Der ausgehöhlte Hammer war eine Metapher für den Klassenverrat der Sozis .
    Er verabscheut diesen Typ von Metaphern, Metapher ist gleichbedeutend mit Berührungsangst . Er will wirklich kein Buch über den sozialdemokratischen Verrat schreiben. Nicht einmal metaphorisch. Außerdem ist er sozusagen besessen von dem tatsächlichen Geschehen, noch nach fünfundzwanzig Jahren ist er jungenhaft traurig darüber, dass sein västerbottnischer Held, der mogelnde Hammerwerfer Eric Umedalen, gestürzt worden war, und das alles andere als metaphorisch. Im Buch allerdings ein Unterton von Verteidigungsrede! Was warfen seine neuen Freunde in Berlin ihm vor?

Er ist in dieser neuen Umgebung in gewisser Hinsicht ein exotisches Phänomen.
    Ein intellektueller Sozialdemokrat. An und für sich war das Wort Intellektueller ein Schimpfwort: ein Intellektueller war einer, der redete, aber nicht handelte. Was zum zentralen Punkt der RAF-Ideologie werden sollte. Doch was schlimmer war, er ist Sozialdemokrat und gibt es zu, ohne auch nur dazu gedrängt zu sein! Anderseits, und das ist das Versöhnende: er kommt aus dem hohen Norden. Praktisch aus den tiefsten Wäldern und aus der schwedischen Arbeiterklasse. War er vielleicht im Grunde ein Arbeiter? Er korrigiert dieses Missverständnis nicht. Proletarierkinder sind dünn gesät unter den führenden Genossen, und so ein schwedischer Sozialdemokrat ist vielleicht etwas anderes als das, was man als den Hauptfeind zu betrachten gewöhnt war.
    Zwar ein von seinen verräterischen Führern verleiteter Sozialdemokrat, aber aus Nordschweden. Man spricht freundlich zu ihm, wie zu einem sehr intelligenten, aber in die Irre geleiteten jungen Mann von einem anderen Planeten mit Namen Schweden. Schwedischer Sozialdemokrat. Müsste genauer analysiert werden. Äußerst interessant.
    Vielleicht ein Arbeiter, wenn auch maskiert?
    Von außen betrachtet ist die Maskierung dieses Holzfällerjünglings jedoch absonderlich, wie er da an dem nahezu fürstlichen Marmortisch in der Meinekestraße 6 sitzt.
    Arbeiter oder nicht: Die Atmosphäre in dieser Stadt ist beispiellos aufgeladen, er schreibt immer intensiver. Er schreibt außerdem in einem Tonfall von desperater oder defensiver Ironie, wie jemand, der etwas Peinliches, das er getan hat, verteidigt, oder voller Wut gutheißt , ständig in einer aggressiven Rechtfertigungshaltung, doch als beliebter Dorftrottel aus Hjoggböle. Er ist einem Sperrfeuer von Eindrücken und Kritik ausgesetzt, und überlegt,

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