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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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kennt viele der schwedischen Teilnehmer persönlich.
    Er hat freie Hand .
    Am ersten Tag wandert er unbekümmert in etwas hinein, was ihn wirklich nicht interessiert ; dies ist also die Unschuld , die er sich als Arbeitshypothese für dieses Buch über moderne Olympische Spiele vorgenommen hat. Jetzt zum Beispiel Pistolenschießen. Schon am Eingang zur Schießbahn begegnet er Grace Kelly drei bis fünf Sekunden. Eine grau getönte, fast hinreißende Schönheit, ungeschminkt und rein, die ihn noch leicht schwanken lässt, als er wenig später dem überraschenden schwedischen Goldmedaillengewinner Skanåker begegnet, dessen politische Analysen ( wer gelernt hat, das schwedische Steuersystem unter Sträng zu ertragen, hat bei Olympia kein Problem mit den Nerven! ) allgemeine Bewunderung wecken.
    So fängt es an.

Das Boxturnier ist fantastisch. Voller Blut, Tapferkeit und Verlierer.
    Ihn zieht es zu den Verlierern, besonders im Gewichtheben; der Umstand, dass sie nur drei Versuche haben , ruft ihm die fast lähmende Angst in Erinnerung, wenn er beim Hochsprung zweimal gerissen hatte. Die Verlierer waren unter diesen Elitemenschen diejenigen, die zu lieben am leichtesten fiel, sie waren beinahe menschlich. David Rigert, der sowjetische Goldmedaillenfavorit im Mittelgewicht, verlangte allzu hochmütig ein schweres Anfangsgewicht und hatte einen Fehlversuch, dann einen zweiten, und man sah, wie er Angst bekam. Vor dem dritten Versuch war er kreideweiß vor Angst und patzte und fiel nach hinten; er schrie wie ein verwundetes Tier und wankte hinunter in die Aufwärmhalle und fiel der Länge nach auf den Boden. Eine Sekunde, und Jahre von Plackerei an der Stange sind dahin. Die lähmende Angst vor dieser Sekunde. Er kannte sie.
    Eine halbe Stunde später sah er Rigert im Park draußen wieder. Er saß in einem grauen verschlissenen Bademantel da und hatte aufgehört zu weinen; nur wenige Meter von ihm entfernt saß sein Trainer. Er hatte ihm nicht den Arm um die Schulter gelegt, denn das ist nicht die sportliche Sitte gegenüber jenen, die vier Jahre für diese Spiele trainiert und in wenigen Minuten alles verloren haben. Der Trainer soll loyal ein paar Meter entfernt sitzen und mit Respekt präsent sein.
    Und keine Worte.
    Er bemerkt, dass Rigert eine Zigarette bekommen hat, mit überkreuzten Beinen im Gras sitzt und raucht, aber ohne Lungenzüge zu machen. Er bläst den Rauch aus wie ein Anfänger. Es ist sicher seine erste Zigarette.
    Er schreibt in sein Notizbuch: ›Raucht seine erste Zigarette, Anfänger.‹
    Manche haben auf dieser olympischen Bühne einmal eine Hauptrolle gespielt. Jetzt sind sie Statisten.
    Er bricht ein paarmal mit seinem Vorsatz, keine Gespräche zu führen und nur zu beobachten, und spricht lange mit John Carlos, dem Schwarzen Panther von der Demonstration auf dem Siegerpodest bei den Olympischen Spielen von Mexiko, der jetzt als Verkäufer für die Schuhfirma Puma arbeitet; ein Panther verwandelt zum Puma.
    Ein feiner Mensch, aber geduckt.
    Später stellt er fest, dass die freie Gruppe Nationalteatern seinen Artikel plündert und eines ihrer besten Kampflieder daraus macht; er fühlt sich geschmeichelt. Nicht oft wird ihm solche Wertschätzung seitens der Göteborger Linken zuteil.
    Alles kommt ihm leicht und lustig vor, die Kollegen in der München-Redaktion der Zeitung akzeptieren ihn schnell. Er bewegt sich auf einem ihm unbekannten Terrain, weit weg von der Einsamkeit des Schriftstellers an der Schreibmaschine. Ein Welttheater. Unerhörte Träume, die zu fünfundneunzig Prozent von den Träumen selbst zerstört werden. Eine Replik kann ein Lebensschicksal sein, wenn man genau hinhört.
    Er schreibt ohne Rücksicht auf Erwartungen.
    Ein Techniker ist dafür abgestellt, die Artikel aller Mitarbeiter einzugeben, er wird Kråkan genannt und ist ein kauziger Mensch, sehr einsam, er sitzt still an seinem speziellen Gerät, das kein anderer beherrscht. Es ist noch lange hin bis zum Durchbruch der Informationstechnologie. Kråkan ist nett und sehr eigentümlich und gibt loyal die unzähligen Seiten an die Redaktion in Stockholm ein, die in München produziert werden. Nur über einen Autor beschwert er sich. Er äußert sich kritisch über die Artikel, die der von außen gekommene Schriftsteller Enquist verfasst.
    Es ist schwer für die Finger , murmelt er, die Hände fliegen nicht , er will nicht präzisieren, was er meint, sagt aber die ganze Zeit du schreibst nicht so, dass die Hände fliegen .

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