Ein Antrag nach Mitternacht
da setzte ein Walzer ein, und Rochford nahm sie in seine Arme, um sich mit ihr zu den anderen Paaren auf der Tanzfläche zu begeben. Etwas regte sich in ihr, etwas Sanftes und Beharrliches, das sie unsicher und nervös, zugleich aber auch fast schon übermütig werden ließ. In den letzten Jahren hatte sie viele Male mit dem Duke getanzt, doch in diesem Augenblick fühlte es sich völlig anders an als sonst. Es kam ihr vor, als … als wäre sie mit ihm in die Vergangenheit zurückgekehrt.
Sie war sich seiner starken Arme deutlich bewusst, sie spürte seine Wärme, nahm den Duft seines Eau de Cologne wahr, der sich mit seinem ganz eigenen, unbestimmbaren Aroma mischte. Ihre Erinnerung kehrte zurück an jenen zweiten Weihnachtsfeiertag, an den Ball, den er in seinem Anwesen im Dancy Park gegeben hatte, als sie von ihm in die Arme genommen worden war, damit sie mit ihm einen Walzer tanzte. Sie hatte ihn angesehen und mit einem Mal verstanden, dass ihre mädchenhafte Schwärmerei, die sie jahrelang für ihn empfunden hatte, in Wahrheit viel mehr war. Beim Blick in seine unendlich tiefen, dunklen Augen war ihr klargeworden, dass sie hoffnungslos in diesen Mann verliebt war. Vor begeisterter Aufregung darüber war ihr ganz schwindlig geworden, ihr ganzer Körper hatte zu kribbeln begonnen. Als er sie dann auch angesehen und angelächelt hatte, war in ihr eine Hitze zum Leben erwacht, die stärker war als die Sonne.
Als sie ihn nun betrachtete, spürte sie, dass diese Erinnerungen ihre Wangen bestimmt mit einer Röte überzogen hatten. Eigentlich sah er immer noch so aus wie damals, fand sie. Wenn überhaupt, hatten die Jahre ihn nur umso attraktiver werden lassen. Die winzigen Fältchen an den Augenwinkeln ließen sein glattes, kantiges Gesicht sanfter erscheinen, das sonst manchmal einen kalten, abweisenden Ausdruck annehmen konnte. Eigentlich, so überlegte sie, hatte er schon immer ein wenig wie ein Pirat ausgesehen, was eindeutig an seinen schwarzen Augen und dem schwarzen Haar sowie den hohen Wangenknochen lag. Zumindest vermittelte er immer dann diesen Eindruck, wenn er die schwarzen Augenbrauen bedrohlich zusammenzog oder wenn er jemandem einen frostigen Blick zuwarf. Das waren die Momente, in denen man ihn für gefährlich halten konnte.
Doch wenn er lächelte, schien er ein ganz anderer Mensch zu sein. Seine Miene hellte sich auf, seine Augen leuchteten. In einem solchen Augenblick war es fast unmöglich, es ihm nicht nachzutun, und man war versucht, alles zu unternehmen, um noch einmal dieses gewinnende Lächeln zu sehen.
Rasch sah sie zur Seite, da ihre eigenen Gedanken sie in Verlegenheit brachten. Hoffentlich war ihm nicht aufgefallen, wie erhitzt sie war, und noch mehr hoffte sie, dass er nicht ahnte, welchen Grund es für ihre Reaktion gab. Natürlich war es albern von ihr, sich solchen Überlegungen überhaupt erst hinzugeben oder wie ein junges Mädchen sein gutes Aussehen oder sein hinreißendes Lächeln zu bewundern. Über solche Gefühle war sie längst hinweg, ob sie nun Rochford oder einen anderen Mann betrafen. Ihre Empfindungen für ihn waren vor vielen Jahren gestorben, verbrannt von den langen Nächten, in denen sie vor Selbstvorwürfen keinen Schlaf gefunden hatte, ertränkt in einem Ozean aus Tränen.
Angestrengt suchte sie nach einem Thema, um das Schweigen zu beenden. „Haben Sie etwas von Callie gehört?“
„Sie hat mir einen Brief zukommen lassen. Einen sehr kurzen, möchte ich betonen. ‚Paris ist großartig. Bromwell ist wundervoll. Freue mich auf Italien.‘“
„Ganz so knapp wird er sicher nicht gewesen sein“, meinte Francesca amüsiert.
„Na ja, sie hat Paris ein klein wenig ausführlicher beschrieben, aber insgesamt ist der Brief ein Musterbeispiel dafür, wie man sich kurzfassen kann. In einer Woche wollen sie nach London zurückkehren, vorausgesetzt natürlich, sie beschließen nicht doch noch, ihre Hochzeitsreise zu verlängern.“
„Wenigstens hört es sich so an, als ob sie glücklich ist.“
„Ja, ich glaube, das ist sie. Entgegen allen meinen Erwartungen scheint Bromwell sie zu lieben.“
„Ohne Callie müssen Sie sich einsam fühlen.“
„Das Haus ist jetzt ein wenig zu ruhig“, gab Rochford zu und lächelte schwach. „Aber ich hatte genug anderes zu tun.“ Er schaute sie fragend an. „Und Sie?“
„Was meinen Sie? Ob ich ebenfalls genug anderes zu tun hatte? Oder ob ich mich ohne Callie einsam fühle?“
„Sowohl als auch. Bis zu ihrer Heirat
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