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Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Titel: Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Krömer
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seine Nationalität und seine Passnummer in eine Liste eintragen.
    Als ich dran bin, stockt die Schlange, denn ich habe meinen Pass nicht dabei. Der Spieß tritt vor und will die Sache regeln. Wir sollen uns keine Sorgen machen. Er wird uns auf die Gästeliste setzen lassen. Allerdings gibt es ohne Pass keinen gültigen Platz auf der Gästeliste. Der Spieß verhandelt hart, stößt aber nicht nur an der Sprachbarriere auf Widerstand. Er flüstert uns zu, dass wir uns jeder einfach eine Passnummer ausdenken sollen. Die Lehre für die Afghanen lautet also: Hauptsache, es steht eine Nummer in den Akten …

    Der Saal ist riesengroß und wird jeweils an den Ein- und Ausgängen von bewaffneten Soldaten bewacht. Warum bewachen hier Soldaten ihre eigenen Leute? , frage ich.
    Ich lasse mir sagen, dass die Wachen hier bewaffnet sein müssen, weil vor einiger Zeit ein Soldat in einem anderen Lager durchgedreht ist und zunächst auf seine Kameraden geschossen und daraufhin sich selbst getötet hat.
    Der Spieß besetzt uns einen Tisch in der Ecke, um den wir uns alle gemeinsam versammeln. Die Soldaten der Gastkompanie, unsere Pressesoldaten, mein Team und ich. Einer fehlt. Peter. Der Spieß erhebt sich und geht auf die Suche nach Peter, der wieder einmal irgendwo verschüttgegangen ist. Erst als wir anderen zu Ende gegessen haben, kommen die beiden zurück an den Tisch. Es gibt keine Erklärung. Wir brauchen auch keine mehr. Wir kennen Peter mittlerweile. Er ist ein feiner Kerl, aber er geht das Leben eben auf seinem ganz eigenen Weg.
    Und vielleicht ist es genau das, was einen guten Journalisten ausmacht. Wenn ich ehrlich bin, ist Peter Kümmel, nach Günter Wallraff, der zweite Journalist in meinem Leben, vor dem ich Respekt habe. Der Krieg gehört bei ihm genauso wenig zum Tagesgeschäft wie bei mir. Und doch hat er sich mit uns auf die Reise gemacht. Er hätte auch wie andere Journalisten ganz einfach von zu Hause aus, in seinem Elfenbeinturm sitzend, das Geschehen aus der Ferne betrachten und einen Artikel schreiben können. Aber nicht Peter Kümmel, der Mann von der ZEIT! Er hat sich mit uns zusammen auf den Weg gemacht in ein Land, in das eigentlich niemand freiwillig will. Ich weiß nicht, was er schreibt und was er sich da den ganzen Tag in sein Büchlein notiert, aber ich weiß, es wird ein realistischer Bericht über das werden, was wir, Reisegruppe Krömer, hier tun und erleben.

    Ein mit dicken Kordeln Behangener kommt an unseren Tisch und will von mir wissen, wem es von uns nicht gut gehe und wer den Termin bei der Ärztin brauche. Ich sage ihm, dass wir alle bei bester Gesundheit seien und ich lediglich mit der Ärztin drehen wolle.
    Was denn drehen, will er wissen?
    Das würde ich äußerst spontan angehen, erwidere ich.
    Eine Blutabnahme eventuell.
    Er bleibt völlig unbeeindruckt. Ob wir nichts Besseres zum Drehen finden würden als eine profane Blutabnahme, wenn wir schon mal in Afghanistan sind?

    Man könne ja das eine mit dem anderen verbinden, denn ich wüsste tatsächlich meine Blutgruppe nicht, sage ich ihm und tische ihm folgende Geschichte auf:

    Ich wollte noch vor der Reise nach Afghanistan meine Blutgruppe in Erfahrung bringen. Deswegen habe ich bei meinem Hausarzt angerufen. Ob man mir dort vielleicht meine Blutgruppe nennen könne. Das konnte man nicht. Ich könne aber bei Zahlung eines kleinen Obolus jederzeit vorbeikommen, mir würde Blut abgenommen werden, man würde das Blut dann ins Labor einschicken, und schon ein paar Tage später hätte ich meine Blutgruppe vorliegen. Da dieses Telefonat ungefähr achtundvierzig Stunden vor unserer Abreise stattfand, bat ich um Informationen für ein beschleunigtes Verfahren. Die Antwort war, dass es ein solches nicht gäbe.
    Ich weiß aus Krankenhausserien, dass das nicht stimmt. Man kann die Blutgruppe ganz schnell bestimmen. Dieses fundierte Wissen versuchte ich nun mit der Sprechstundenhilfe zu teilen, die sich aber nicht darauf einlassen wollte. Ich könne ja in ein Krankenhaus gehen, teilte sie mir mit. Da würde das bestimmt gehen. Beim Hausarzt nicht. Und dann wollte sie wissen, warum ich jetzt so dringend meine Blutgruppe wissen müsste, denn die letzten siebenunddreißig Jahre sei sie mir ja auch ziemlich schnuppe gewesen. Ich entband mich selbst von meiner Schweigepflicht und sagte ihr (Ich gebe zu, leicht angesäuert), dass ich so gut wie auf dem Sprung nach Afghanistan sei und – falls ich dort in die Luft gesprengt oder abgeknallt werden

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