Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Gelächter aus dem Container ertönte.
Dem Fregattenkapitän wurde die Situation anscheinend zu brenzlig, und das erste und einzige Mal während unseres Besuchs zückte er sein Notizbuch. Keine Ahnung, was er sich notiert hat. Wovor hatte er Angst? Dass mir der Pfarrer etwas über traumatisierte oder verstorbene Soldaten erzählt und ich mich darauf ausschütte vor Lachen?
Dabei habe ich die angebotene Sprechstunde des Pfarrers nur genutzt, um mich über mein suboptimales Verhältnis zu meinem Nachbarn in Berlin auszulassen. Wir schaukelten uns hoch und einigten uns darauf, dass man das doch alles mit Humor nehmen müsse. Genau, Herr Pfarrer. Für Kurt Krömer, den Komiker, ein zufriedenstellender Rat. Und als Privatperson kam noch eine Erkenntnis dazu: Sogar in dieser Kriegssituation sollte man alles schön mit Humor nehmen.
Soll ich Ihnen mal sagen, worin für mich ein Unterschied zwischen dem Anfang meiner Karriere und jetzt liegt? Früher habe ich nächtelang zu Hause am Schreibtisch gesessen und mir Geschichten buchstäblich ausgedacht. Geschichten, die ich in Wirklichkeit nie erlebt hatte. Ich musste mit der Zeit feststellen, dass die Geschichten, die tatsächlich passiert waren, viel besser beim Publikum ankommen. Wahrscheinlich weil sie mit Seele und Leben gefüllt sind. Und ich habe gelernt, dass in allem, was tragisch ist und wirklich stattfindet, viel mehr Komik liegt als in ausgedachten Dingen. Und dass unsere Welt sowieso schon dermaßen krankt, dass man eigentlich nichts Neues dazuerfinden muss.
Ich bin Komiker, und mich interessiert, was in Afghanistan wirklich vor sich geht. Ich bin nicht hier, um mich als Kriegs-Journalist zu profilieren oder um Schlagzeilen auszugraben. Nicht um den Finger zu erheben und zu sagen: Schaut her, ich habe die Antworten. Mich interessiert immer nur, den ganz normalen Alltag zu erleben. Und der findet natürlich auch hier statt. Und das Bedürfnis zu lachen ist hier sogar stärker ausgeprägt, als ich es irgendwo sonst erlebt habe.
Ich denke auch an die andere Seite, jenseits der Truppen, jenseits dieser Mauern. Wie sieht das Ganze die afghanische Bevölkerung? Wird dort auch gelacht? Kann man nach dreißig Jahren Krieg überhaupt noch über irgendetwas lachen?
Peter Kümmel
Über dem Lager liegt das Dröhnen der Generatoren, die von alten Schiffsmotoren betrieben werden. Es ist ein mächtiges Geräusch, und bei Nacht hat man das Gefühl, man reise auf einem Dampfer.
Im Guten wie im Unerträglichen: es entsteht ein Zusammengehörigkeitsgefühl, wie man es von daheim nicht kennt. Alle essen, trinken, inhalieren dasselbe; alle fürchten dasselbe Ungeziefer, viele haben Schlafstörungen, denn im Lager hat es tagsüber 42, im Sommer auch mal 48 Grad, nachts werden die Baracken von Klimaanlagen gekühlt, deren Rotoren sich direkt neben dem Kopf der Schläfer drehen.
Der deutsche Spieß (Kompaniefeldwebel), ein zupackend herzlicher Mann, empfängt uns: er ist zu Hause in der Eifel ehrenamtlich als Bürgermeister eines Dorfes tätig, und er tut, was er kann, damit »die Jungs« vom Kontingent das Camp in den vier Monaten ihres Aufenthaltes wie ein halbwegs heiles Dorf erleben.
Der afghanische Präsident Karzai, so geht das Gerücht, habe sich von den deutschen Soldaten in Camp Warehouse eine Limousine schusssicher verpanzern lassen, und einen speziellen Wunsch habe Karzai auch gehabt: Man möge ihm den Innenboden des Wagens mit Kunstrasen auskleiden. Also, sagt der Spieß, habe man Kunstrasen besorgt, und vermutlich fährt der afghanische Präsident nun nur noch barfüßig Auto.
Krömer tritt abends im deutschen Klub namens Wolfsgrube auf. Der Name habe, sagen die Soldaten, nichts mit Hitlers Wolfsschanze zu tun, sondern sei eine Verneigung vor dem Klub-Gründer, einem Mann, der zu Hause in Deutschland eng mit Wölfen zusammenlebe.
Die Wolfshöhle
Als ich aus dem Container des Pfarrers herauskomme, stehen die anderen schon in der Raucherecke. Ich stelle mich etwas abseits, weil sie alle im Schatten stehen und ich nichts gegen ein bisschen Sonne habe. Der Fregattenkapitän zieht mich zu sich heran. Ich schaue ihn an. Was ist los? Will er mir heimlich etwas ins Ohr flüstern? Nein. Er weist mich nur noch einmal darauf hin, dass wir hier nicht im Hof eines Hotels im Süden sind, sondern in Afghanistan. Wir stehen nicht irgendwo rum, sondern wir suchen uns Ecken. Nicht wegen der Sonnenbrandgefahr, sondern weil es immer jemanden jucken könnte, ins Lager reinzuschießen.
Weitere Kostenlose Bücher