Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Panorama, die Optik des Hotels hätten als Kulisse für neunzig Prozent aller Musikfilme von Peter Alexander dienen können.
Es war traumhaft, sagt mir Bahram, der hier am Kargah-See geboren wurde. Ich war damals oft mit meinen Eltern hier und habe gespielt. Und ich kann mich auch erinnern, dass mein Vater damals offiziell Alkohol getrunken hat, fügt er hinzu.
Während die Kellner uns die Terrasse mit Sitzmöglichkeiten herrichten und uns Kaffee machen, bittet mich Bahram, mit ihm zu kommen. Wir betreten das Restaurant des Hotels. Ein leerer Raum mit ungefähr sechs unbesetzten Tischen. Bis auf den einen hinten links. Dort, am hinteren Teil des Panorama-Fensters mit exklusivem Blick auf den See, sitzt ein junges Pärchen. Beide sind um die fünfundzwanzig, sie ist nicht verschleiert, ihr Kopf ist allerdings leicht mit einem Tuch bedeckt. Als kleiner Fachmann in Sachen Religion, für den ich mich mittlerweile betrachte, weiß ich, dass die Sittenfrage der beiden Verliebten hier äußerst laissez faire gehandhabt wird. Offensichtlich Liebesurlaub, so viel steht fest, denke ich mir. Wenn die beiden noch nicht verheiratet sind, stellt das in den Augen der Taliban eine Todsünde dar. Liebesurlaub Unverheirateter, ganz Paris müsste man sprengen, um so etwas zu unterbinden, denke ich mir.
Die beiden blicken uns an, als hätten wir sie ertappt. Ich komme mir wie eine gluckenhafte Mutti vor, die, kurz bevor ihr Sohn seine große Liebe das erste Mal küsst, ins Kinderzimmer platzt und fragt, ob jemand noch Kekse und ’ne Limo will.
Ich schaue auf die Wand, die sich hinter den beiden befindet. Eine mit bunten Kreisen bemalte weiße Wand. Die Kreise haben unterschiedliche Durchmesser, im Schnitt zwischen zehn und zwanzig Zentimeter. Es wirkt so, als wenn jemand überdimensionales Konfetti genommen und gegen die Wand geschmissen hat, wo es dann wie durch Zauberhand komplett hängen geblieben ist. Bahram guckt mich an und sagt: Das sind die Einschusslöcher der Gewehrkugeln. Die Mitarbeiter haben sie zugespachtelt, Kreise drumgezo gen und sie bunt bemalt. Ich sehe auf einmal keine bunten Kreise mehr, sondern rund einhundert Einschusslöcher. Von Menschen verursacht, deren einziges Ziel es war, hier ein Blutbad anzurichten. Um wahllos Menschen abzuschlachten. Mir wird schlecht, und ich gehe raus an die frische Luft.
La Fee kommt zu mir und sagt, er sei jetzt so weit, wir könnten drehen. Mir ist immer noch schlecht, und ich denke: was mache ich hier eigentlich? Was mache ich mit einem Kameramann an diesem Ort? Ich komme mir vor wie einer dieser schmierigen Boulevard-Journalisten, die davon leben, den ganzen Tag in der Scheiße anderer Leute rumzuwühlen. Immer mit dem Ziel, irgendetwas Spektakuläres zu finden. Schockierende Bilder, Prominente in peinlichen Situationen, Bilder, auf denen man sich dann einen runterholen kann, wenn man sie im Kasten hat. Wo man dann gestochen scharfe Fotos hat von dem Motorradfahrer, der bei einem Unfall auf der Autobahn gerade seinen Kopf verloren hat. Warum drehen wir hier überhaupt? Keiner hat mir hierfür einen Auftrag erteilt. Ich bin Komiker und kein Journalist. Kein Sender wartet zu Hause auf diese Doku.
Ich würde dir hier gerne ein paar Fragen stellen, sage ich zu Bahram. La Fee macht die Kamera an. Ohne dass ich ihm eine Frage stelle, fängt Bahram an zu reden. Er beantwortet die von mir nicht gestellte Frage, warum er westlichen Journalisten keine Interviews gibt. Bahram vertraut mir, er redet vor der Kamera mit mir. Ich weiß nicht, warum, aber vom ersten Tag an, als ich ihn kennengelernt habe, hatte ich das Gefühl, wir würden uns schon seit einer Ewigkeit kennen.
Du gibst keine Interviews , sagte ich zu ihm, weil die Berichterstattung, egal, wie lange und ausführlich du mit den Journalisten redest, immer nur auf das zusammenge kürzt wird, was man sowieso schon weiß … Bahram nickt mir zu.
Journalisten kommen zu dir, führen ein zweistündiges Interview, und die Quintessenz dessen ist dann doch wieder nur: Afghanistan ist gleich Krieg, Soldaten, Tote, Taliban, allenfalls noch Heroin. Schön auf einen kleinen Beitrag zusammengeschnitten, der die Marke von einer Minute dreißig nicht übersteigt. Bei dem man dann mal kurz die Chipstüte beiseitelegt, gebannt zuschaut, sich beim Gang zum Kühlschrank denkt, die spinnen doch, die Moslems, um dann, mit einem Bier in der Hand, spätestens beim Beginn des Musikantenstadls, wieder alle weltpolitischen Probleme zu
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