Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Soldaten einen Streifschuss an den Arm. Er blutet. Der Offizier fragt ihn: Und? Schmerzen? Der Soldat antwortet: Nein, mein Herr! Warum auch? Ich bin ja gut ausgebildet und nicht verwundet!
Der afghanische Offizier schießt seinem Soldaten in den Fuß und fragt ihn: Und Schmerzen? Der Afghane antwortet: Nein. Warum auch? Ich bin ja nicht verwundet! Der afghanische Offizier guckt verwundert und fragt nach. Warum nicht? Ich habe dir gerade sämtliche Zehen weggeschossen? Nein , sagt der Soldat, ich habe Schuhgröße 41, und meine Stiefel sind 45.
Wir sitzen im Kebab-Restaurant, als Bahram uns diesen Witz erzählt. Er erzählt ihn gut und er erzählt ihn lustig. Ich muss lachen. Kleo grinst auch vor sich hin, ich glaube aber eher, weil sie wegen ihrer Rückenschmerzen vollgepumpt mit Medikamenten ist. Wir beschließen beim Essen, dass sie morgen nach Hause fliegt.
Der Kebab besteht aus gegrilltem, mariniertem Lammfleisch und Leber. Er schmeckt unglaublich gut. Mit einem Stück heißen Brot wischt man das Fleisch vom Spieß und tunkt dann alles in eine Marinade aus Öl, Pfefferschoten, Knoblauch und Koriander. Den Reis dazu essen wir mit der Hand, wie alte Hasen.
Unsere Fahrer und Sicherheitsleute essen an den Tischen vor uns. Ihnen schmeckt es sichtbar auch.
Wir unterhalten uns über Musik in Afghanistan, und Bahram erzählt von Farhad Darya und einem kürzlichen Konzert in Kandahar. Darya macht Rockmusik auf Afghanisch mit orientalischen Einflüssen. Er singt von seinem Land, von Freiheit, Brüderlichkeit und Liebe. Die Afghanen lieben seine Musik und seine Texte. Zu diesem Konzert, so viel war klar, würden auch Fundamentalisten kommen, die ebenfalls seine Musik mögen. Um keinen unnötigen Ärger zu provozieren, hatten sich Bahram und Farhad Darya als Veranstalter gegen zu harte Kontrollen entschieden. Wenn jemand wirklich Übles will, dann hat er sowieso die Möglichkeit und die Mittel dazu, Waffen an Wachen vorbeizuschmuggeln. Und vor einem Konzert alle zehntausend Besucher zu röntgen, steigert auch nicht gerade die Stimmung. Deswegen bestand die Hoffnung der beiden darin, dass Musik das kann, was die Politik im Moment nicht schafft: für Frieden zu sorgen.
Auf einmal standen am Einlass eine Handvoll bewaffneter Taliban. Man wollte sie nicht hereinlassen, aber Farhad Darya bat darum, es doch zu tun. Und so geschah es, dass einer der Taliban zu Bahram kam, ihm seine Pistole in die Hand drückte und sagte: Das ist meine Pistole. Wenn meine Freunde etwas Falsches tun, dann erschieß mich!
Das Konzert lief von Anfang bis Ende friedlich ab. Niemand wurde erschossen. Bahram erzählt, dass Darya auch schon mal ein Konzert nur für Frauen gegeben hat. Dort hat er sich bei den Frauen dafür entschuldigt, wie Männer sie in diesem Land behandeln.
Wir beschließen, dass Bahram und Farhad Darya für uns Helden sind.
Besuch im Spozhmai-Hotel am Kargah-See
Auf dem Plan heute steht der Besuch des Spozhmai-Hotels am Kargah-See. In diesem Hotel gab es 2012 einen Anschlag der radikal-islamistischen Taliban. Die Begründung der Taliban lautete Sittenverfall, man hätte dort unislamisches Verhalten registriert. Damals hielt in der Dunkelheit vor dem Hotel ein kleiner Bus mit vier schwer bewaffneten Kämpfern. Sie stürmten das Hotel und schossen auf alles, was sich bewegte. Das Massaker dauerte zwölf Stunden. Am Ende gab es, inklusive der Angreifer, sechsundzwanzig Tote.
Mit Sittenverfall meinten die Taliban, dass sich dort Journalisten, Diplomaten oder einfach junge, unverheiratete afghanische Pärchen zum Liebesurlaub träfen. Dass die Gäste dort Alkohol tränken und dass dort wilde Partys gefeiert würden.
Nach fünfundvierzigminütiger Autofahrt und dem Passieren zweier Sicherheitskontrollen erreichen wir das Spozhmai-Hotel. Der Torbogen mit Schriftzug des Hotels, den wir mit unseren Fahrzeugen durchfahren, ist immer noch übersät von unzähligen Einschusslöchern. Ich erblicke zwei Wachmänner, die die Auffahrt des Hotels bewachen. Beide tragen Kalaschnikows. Wir betreten das Hotel, das in den Fünfzigerjahren erbaut wurde. Man führt uns durch das Hotel auf die Terrasse. Ich bekomme ein Déjà-vu. War ich hier irgendwann schon mal? Ich glaube nicht. In meinem Unterbewusstsein sind es, glaube ich, eher noch die Bildfetzen im Kopf von damals, als ich die Berichterstattung über das Attentat zu Hause im Fernsehen gesehen habe. Ein Hotel im leichten Bauhaus-Chic, beste Lage, an einem wunderschönen See. Das
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