Ein Bär im Betstuhl
westliche Richtung. Bis aufs Festland, nach Kem, waren es gut fünfzig Kilometer. Es war inzwischen dunkel, und unbemerkt verließen sie die Gefängnis- und Klosterinsel Solowezk. Kein Hahn krähte nach ihnen, kein Maschinengewehr ratterte.
Pastor Oskari Huuskonen sprach mit ernster Stimme die erschütternden Verse von Psalm 7:
»Auf dich, Herr, traue ich, mein Gott. Hilf mir von allen meinen Verfolgern. Und errette mich,
dass sie nicht wie Löwen
mich erhaschen und zerreißen,
weil kein Erretter da ist.«
Das Eis war noch dick und mit Schnee bedeckt, den die Winterstürme hart gemacht hatten. Die Marschbedin gungen waren ausgezeichnet, Huuskonen hatte keine Probleme, den beladenen Schlitten zu ziehen. Tanja ging vorweg, sie trug einen langen Stab, mit dem sie hin und wieder die Festigkeit des Eises prüfte. Hinter ihr trabte der schläfrige und ein wenig missmutige Beelzebub. In den frühen Morgenstunden gelangten sie in ein Gebiet mit Packeis, in dem sie nur schwer vorwärts kamen. Die Stürme des Spätherbstes hatten das Eis, das einen halben Meter dick war, zerrissen, und es hatte sich zu einem hohen Wall aufgetürmt, der in den Januarfrösten steinhart gefroren war. Huuskonen zerrte mit aller Kraft am Schlitten, kam aber nur unendlich langsam vor wärts. Sie waren nur noch eine Meile vom Festland entfernt, aber es erschien ihnen unmöglich, in nächtli cher Dunkelheit die Packeiszone zu überqueren, und so beschlossen sie, sich im Schutz der Eismauer auszuru hen und auf den Morgen zu warten.
Huuskonen befahl dem Bären, sich hinzulegen, und der folgte gern und suchte sich einen Platz zwischen den Eisblöcken. Huuskonen holte den Schlitten heran, sodass er dicht neben dem Bären stand, Tanja nahm vier Decken von der Fuhre und breitete sie zwischen Schlitten und Bär aus, zwei aufs Eis, zwei zum Zude cken. Dann legten sich Tanja und Oskari nieder. Sie tranken einen tüchtigen Schluck Wodka, aber Beelzebub gaben sie keinen. Der Platz war warm und geschützt. Von einem Bären hat der Mensch wirklich viel Nutzen, besonders wenn er ein vereistes Meer überquert.
Ehe Oskari einschlief, fragte er noch, ob Tanja wirk lich daran gedacht hatte, die Computerausdrucke ein zupacken, die er im Laufe des Winters vom Rauschen im Weltall gemacht hatte.
Sie sagte, dass ein dicker Stapel von mindestens ei nem Kilo Gewicht im Gepäck liege. Während der letzten zwei Wochen seien auf dem Monitor und auf den Aus drucken einige sonderbare Zeichen aufgetaucht, aber sie könne nichts Näheres dazu sagen.
Oskari war sofort interessiert. Welche Zeichen? Tanja erzählte, dass am vergangenen Montag, als
Oskari wieder einmal mit den Funkern im Kloster Spee re geworfen habe, auf dem Bildschirm des Computers eine Reihe mit Strichen aufgetaucht sei, ähnlich wie die Preiscodes auf westlichen Produktverpackungen, nur größer natürlich. Sie seien auf dem Ausdruck zu sehen.
Oskari kramte sofort die Taschenlampe von der Fuhre und blätterte eifrig in den ausgedruckten Seiten. Über das Eis wehte ein kalter Wind, es fehlte nicht fiel, und die Botschaften aus dem All wären den klammen Fin gern des Pastors entrissen und aufs Meer hinausgetra gen worden.
»Stimmt! Es ist wahr!«, schrie Huuskonen so laut, dass der Bär erwachte und zu schnauben anfing.
»Hier haben wir das erste Anzeichen dafür, dass es außerhalb der Erde intelligentes Leben gibt«, schlussfol gerte Huuskonen. Er nahm einen wirklich langen Schluck Wodka, und jetzt bekam auch der Bär ein klein wenig ab.
»Das bedeutet für die Menschheit möglicherweise mehr als irgendetwas anderes in all den Millionen Jah ren ihrer Geschichte«, verkündete er feierlich.
Dritter Teil
Der fromme Petz
VOM WEISSEN
ZUM SCHWARZEN MEER
Pastor Oskari Huuskonen, die Funkerin Tanja Mihailo wa und der Bär Beelzebub schritten im Morgendämmern durch Kem. Tanja führte den Bären und Oskari zog den beladenen Schlitten. Die Hafen- und Eisenbahnstadt schlief noch, und am Kraftwerk, wo die Reisenden vom Eis an Land gegangen waren, hatte es kein Taxi gege ben, sodass Huuskonen den Schlitten quer durch die Stadt bis zum Bahnhof ziehen musste. Die Straßen waren vereist und nicht gestreut, sodass das kein Prob lem war.
Tanja kaufte die Fahrkarten. Huuskonen wartete währenddessen mit Beelzebub am äußersten Ende des Bahnsteigs, wo sich keine Eisenbahner und keine Rei senden und natürlich auch keine anderen Bären auf hielten. Der Schnellzug von Murmansk
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