Ein Bär im Betstuhl
Schafweiden, griff sich auch mal einen saftigen Enten braten oder verschlang ein rundes Ferkel. Er schlappte Wasser aus den Swimmingpools der Villen und den Springbrunnen der Parks. Tagsüber ruhte er sich in den Weinbergen und Obstplantagen aus, nachts trabte er auf der Suche nach Huuskonen über die Insel. Er war ein junger, starker Bär und konnte mühelos in einer Nacht von einem Rand der Insel zum anderen gelangen. Ihn plagte nichts weiter als Einsamkeit, ein Gefühl, das den Tieren fremd, den Menschen aber vertraut ist. Er suchte fieberhaft nach Oskari und Tanja und verstand nicht, wohin sie gegangen waren und warum sie ihn allein gelassen hatten.
In den Dörfern auf Malta begannen die Leute von ei ner blutrünstigen Hexe zu reden, die Kleinvieh aß. Eine riesige Frau mit schwarzen Zotteln, jahrhundertealt, ein rachelüsterner kriechender Engel, der unschuldige Schafe verschleppte und ihnen die Därme herausriss und der sich niemals richtig zeigte. Bald würde er auch kleine Kinder rauben und in seine Felshöhle schleppen, und niemand würde erfahren, wo die süßen Racker gefressen worden waren. Manch einer vermutete, dass die von den Johannitern vergewaltigte und getötete Urjungfrau von Malta von den Toten auferstanden war und sich an den Inselbewohnern auf grausame Weise rächte, denn diese hatten damals die Ehre der jungen Maid nicht verteidigt.
Einige Leute waren jedoch der Meinung, dass hinter alledem nur die verwilderten streunenden Hunde steck ten, gegen die, so forderte es die Times von Valletta, schon allein wegen der Touristen endlich vorgegangen werden müsste.
Beelzebub kam zurecht, aber er war traurig: Er war allein auf der Welt. Speis und Trank hatte er im Über fluss, er war stark und vernünftig, aber wo war Huuskonen, der verrückte Pastor? Beelzebub war ja noch nicht ganz ausgewachsen, erlebte erst seinen dritten Sommer. Nachts, wenn er sich einen Ruheplatz gesucht und eine tote Ente im Zitrushain zurechtgelegt hatte, überlegte er, was er jetzt anfangen sollte. Er legte das Maul auf die Vordertatzen, seufzte viele Male hinter einander schwer, und seine kleinen scharfen Augen trübten sich vor Sehnsucht. Traurig starrte er in die Dunkelheit, aus der ihm keine einzige Duftbotschaft von Tanja, Sonja oder Huuskonen entgegenwehte.
Aber wenn die nächste Nacht anbrach, erhob er sich wieder vorsichtig und begab sich geräuschlos auf Wan derung. Er tötete ein Schaf oder griff sich ein Ferkel, verschlang ein Huhn oder eine Ente, und nachher legte er sich Aas bereit und bedeckte es, blieb aber nicht da, um es zu bewachen, sondern zog weiter. Er war ein wandernder Riese, ein Bär ohnegleichen, der einzige im ganzen Mittelmeer, besaß Kraft und Freiheit, aber er sehnte sich auch nach seinem Herrn, von dem er über haupt nichts mehr wusste. Er suchte nach seinem Gefährten, dem Menschen, an dem er nach all der ge meinsamen Zeit sehr hing.
Aber auch nach Tagen wehte ihm Huuskonens Ge ruch immer noch nicht in die Nase. Da fing er an, nach dem weißen Schiff zu suchen, nach seiner Oihonna. Immer öfter dehnte er seine Ausflüge bis ans schäu mende Meer aus, und wenn der Mond schien, schärfte er den Blick und hielt Ausschau nach dem bekannten weißen Schiff, der Oihonna, auf dem er seine eigene Bärenbar gehabt hatte. Als Beelzebub ein oder zwei Wochen auf Malta umhergewandert war, gelangte er endlich nach Senglea, in den vertrauten Hafen. Er hatte ein gutes Gedächtnis und ein unendliches Geruchs buch, er witterte das ranzige Öl im Hafenbecken, die Schmiere der Kräne, die rostigen Wände der Tanker, den Gestank der zischenden Schweißfunken und entschied, dass er sich jetzt in einer Gegend befand, in der er wie der nach Hause, auf die Oihonna, finden könnte.
In Valletta, hinter der Bucht, war Kanonendonner zu hören, als die Teilnehmer der ökumenischen Konferenz mit wehenden Talaren zur Abschlussprozession durch die steinigen Straßen zogen, aber Beelzebub hielt sich still im Verborgenen. Er irrte die ganze Nacht durch den Hafen, ganz vorsichtig, eine ererbte Erfahrung aus Milli onen von Jahren, er bewegte sich im Schatten von Werfthallen und Hafenspeichern. Die heißen und hellen Tagesstunden verbrachte er in den Tiefen eines verlas senen Sandsteinbruches, den er hinter einem nahen Hügel entdeckt hatte. Aus den Tiefen dieser Grube waren im Laufe der Jahrhunderte mindestens hundert Kirchen und Meilen von Festungsmauern gefördert worden. Jetzt war sie Beelzebubs
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