Ein Ballnachtstraum
Lage fühle ich mich verpflichtet, Sie vor der Familie Boscastle zu warnen.“
„Was ist denn mit der Familie?“, fragte sie beiläufig in der Hoffnung, nicht allzu interessiert zu klingen.
„Diese Familie neigt zu Ausschweifungen und ist ständig in Skandale verwickelt. Duelle und sündige Affären sind bei den Boscastles an der Tagesordnung.“
Eloise starrte an ihm vorbei zur Gartenmauer und hatte Mühe, ein Schmunzeln zu unterdrücken. „Aber Major, man sollte nicht allzu viel auf Gerüchte geben.“
„Und das hier? Das ist gewiss kein Gerücht“, rief er und zog aus seiner Westentasche jene Karikatur von Heath Boscastle, die einen Sturm der Entrüstung in London entfacht hatte.
„Ist dieser … dieser schamlos nackte Apollo nicht der junge Mann, der in letzter Zeit in Lord Thorntons Haus ein- und ausgeht?“
Sie schaute ihn vorwurfsvoll an. „Schämen Sie sich, Major! Haben Sie mir etwa wieder hinterherspioniert?“
„Nur in Ihrem Interesse, meine Liebe. Ist das der Mann oder nicht?“
„Ich habe Lord Boscastle noch nie unbekleidet gesehen“, antwortete sie gedehnt. Aber er hatte sie splitternackt gesehen.
„Das will ich doch hoffen“, erwiderte er entrüstet.
Sie nahm ihm das Blatt aus der Hand und hielt es ans Sonnenlicht. „Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit, muss ich zugeben“, murmelte sie.
„Eine gewisse Ähnlichkeit?“
„Zwischen den Brüdern, obwohl ich bezweifle, dass Lord Drake einen so riesigen …“
„Einen riesigen was …?“
Eloise fürchtete, in ungehöriges Lachen auszubrechen. Gütiger Himmel, wie sollte sie klar denken, während sie einen unaussprechlichen, übertrieben dargestellten Körperteil eines Mannes vor Augen hatte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
„Eloise!“ Major Dugdale schlug erneut mit seinem Stock gegen die Steinbank. „Was wollten Sie sagen? Einen riesigen …“
„Ein so schweres Geschütz auffährt.“ Sie begann vor Verlegenheit zu stottern. „Ich meine … ich kann mir nicht vorstellen, dass Seine Lordschaft ein solcher Schwerenöter ist, um zuzulassen, dass dieser Schmutz in der Öffentlichkeit verbreitet wird.“
Offensichtlich war schlechtes Benehmen in der Familie gang und gäbe. Aber sie konnte immer noch nicht glauben, dass Drakes Schwägerin diese obszöne Karikatur gezeichnet hatte.
Der Major musterte sie mit einem kritischen Blick. „Ich fürchte. Eloise, Sie haben sich zu Ihrem Nachteil verändert. Jedenfalls habe ich diese Reaktion nicht von einer tugendhaften jungen Frau wie Ihnen erwartet.“
„Mir ist schleierhaft, wovon Sie sprechen“, wehrte sie sich mit Unschuldsmiene, wobei ihr klar war, dass er in gewisser Weise recht hatte.
„Boscastle hat Sie doch hoffentlich nicht in Versuchung geführt, oder?“
„In welche Versuchung?“
„Das kann ich nicht sagen.“
„Wie soll ich mich verteidigen, wenn ich keine Ahnung habe, wovon Sie sprechen?“ Sie erhob sich würdevoll und reichte ihm das Schandblatt zurück. „Ich weiß Ihre Besorgnis zu schätzen, aber ich denke …“ Sie stockte, gab einen erschrockenen Laut von sich, als er seinen Stock fallen ließ und seine Hände auf ihre Schultern legte. „Was um Himmels willen ist über Sie gekommen, Major?“
„Als Freund und Nachbar fühle ich mich verpflichtet, Sie zu beschützen vor …“
Im Hintergrund war das Knirschen von Schritten auf dem Kiesweg zu hören. Major Dugdale nahm hastig die Hände von ihr und drehte sich schuldbewusst herum. Eloise neigte sich seitlich, um zu sehen, wer sie aus dieser peinlichen Situation erlöste.
„Wovor wollen Sie Miss Goodwin beschützen?“, fragte Drake im Näherkommen mit einem kühlen Lächeln.
Drake verengte die Augen, als Eloise und ihr silbergrauer Begleiter auseinanderfuhren. Es hatte zwar nicht eindeutig nach einer Umarmung ausgesehen, aber immerhin hatten die Hände des Mannes auf ihren Schultern gelegen, und Eloise machte ein betretenes Gesicht.
Er musterte den älteren Mann verächtlich. Von wegen, sie beschützen! Der lüsterne Graukopf hatte vermutlich nur auf eine passende Gelegenheit gelauert, um sie unsittlich zu belästigen.
Drake folgte Eloises hastigem Blick zu einer Zeichnung in der Hand des verdutzten Mannes, erkannte die Karikatur augenblicklich und schmunzelte. „Erstaunlich, was manche Leute heutzutage lesen, finden Sie nicht auch?“
Der Mann furchte missbilligend die Stirn. „Ja, wir leben in einer schlechten Welt. Ich bin Major John Dugdale und Sie …“
„Ich bin
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