Ein Ballnachtstraum
„Stehen Sie nicht herum und erteilen mir schlechte Ratschläge, Mrs. Barnes. Helfen Sie mir lieber, dieses Symbol der Sünde und Verführung loszuwerden.“
„Sünde und Verführung“, schnaubte Mrs. Barnes verächtlich und stieß eine Wolke brandygeschwängerten Atem aus wie ein angetrunkener Drache. „Ich nenne das ein Symbol von Sicherheit und Schutz.“
Eloise hob das Kinn. „Wollen Sie mich etwa ermutigen, ein unsittliches Angebot anzunehmen?“
Mrs. Barnes, die normalerweise die Fingerfertigkeit einer Zauberkünstlerin auf wies, machte sich vergeblich an dem Verschluss zu schaffen. „Ja, das tue ich. Besser die verwöhnte Mätresse eines reichen Mannes als die geschundene Ehefrau eines armen Schluckers … oder eine Schulmeisterin, wenn ich mich nicht gerade verhört habe.“
Noch nie hatte die Gute so offen mit Eloise gesprochen. Sie war nur froh, dass Thalia nicht hier war. „Aber denken Sie doch nur an die Schmach“, wandte Eloise ein.
Mrs. Barnes gab ihre Versuche auf, die Perlenkette blieb an Eloises Hals. „Ganz recht“, sagte sie vorwurfsvoll. „Denken Sie an die Schmach, wenn wir alle als Bettler in der Gosse landen, nur weil Sie sich entschieden haben, Lehrerin zu werden. Das wäre unverantwortlich selbstsüchtig, wie ich hinzufügen darf, denn andernfalls würden Sie uns allen ein Leben in einem Palast ermöglichen.“
„Lord Drake wohnt in keinem Palast.“
„Aber beinahe. Jedenfalls besser als im Schuldturm. Sie waren noch nie in einem Armenhaus, meine Liebe, aber ich. Und das war kein angenehmer Aufenthalt.“
„Armut ist kein leichtes Los, davon kann auch ich ein Lied singen.“ Eloise begann nun selbst wieder an dem Verschluss zu fingern. „Sie haben etwas an dem Verschluss verbogen, nicht wahr?“
„Hab ich nicht.“
„Er klemmt.“
„Das ist Schicksal. Begreifen Sie doch, Eloise Goodwin. Das Schicksal bietet Ihnen die einmalige Chance, ein Leben in Wohlstand und ohne Sorgen zu führen.“
Ganz zu schweigen von Liebe, Lust und schließlich einem gebrochenen Herzen, dachte Eloise wehmütig und kapitulierte vor der Kette. „Gleich morgen früh suche ich einen Juwelier auf, der den Verschluss repariert und mich von der Kette befreit“, murmelte sie.
„Das wäre ein unverzeihlicher Fehler“, meinte Mrs. Barnes unheilvoll und zog eine buschige graue Braue hoch. „Man muss auf die Zeichen des Schicksals achten.“
„Man muss sich auch um seinen eigenen Kram kümmern!“, entgegnete Eloise tadelnd.
„Es ist ein Zeichen des Schicksals, denken Sie an meine Worte“, beharrte Mrs. Barnes mit erhobener Stimme.
Und dann kam Freddie die schmale Stiege vom Küchentrakt herauf und rieb sich schlaftrunken die Augen. „Was für ein Zeichen? Vom Ende der Welt? Mein Gott, ihr zwei macht einen Lärm, der Tote wecken könnte. Was ist denn jetzt schon wieder los?“
„Ich krieg die Kette nicht auf“, erklärte Eloise. „Der Verschluss klemmt.“
„Ich hole eine Flasche Brandy“, sagte Mrs. Barnes und steuerte entschlossen das Wohnzimmer an.
Freddie setzte sich auf die oberste Stufe der Stiege. „Kann man mit Brandy einen klemmenden Verschluss lösen?“, fragte er gähnend.
„Nein“, erwiderte Eloise schnippisch. „Er löst nur Zungen.“
Nachdem die drei den Rest der Flasche zusammen mit einer Schale Kekse geleert hatten, nahm Eloise gnädig Mrs. Barnes Entschuldigung an, wenn auch nicht ihren gut gemeinten Rat. Schließlich war der Hausfrieden wiederhergestellt, die drei wünschten einander eine gute Nacht und angenehme Träume. Eloise zog sich ins Wohnzimmer zurück, um vor dem Zubettgehen noch ein wenig zu lesen.
Und niemand hatte das Klopfen an der Haustür gehört oder den Mann bemerkt, der im Schatten vor dem Haus stand und ihr Gelächter belauschte, bevor er wieder in der Nacht verschwunden war.
15. KAPITEL
Drake hatte vorgehabt, den Abend allein zu verbringen. Er hätte Eloise zwar gerne besucht, aber es war schon spät und er hatte versprochen, ihre Entscheidung abzuwarten. Ein Abendspaziergang würde ihm gut tun, seine Unruhe mildern und ihm die nötige Bettschwere geben. Er scheute sich nicht, nachts die Straßen zu durchstreifen, da nur einmal ein Versuch gemacht worden war, ihn zu überfallen. Man hatte ihn mit seinem Bruder Heath verwechselt. Doch auch damals war es Drake gelungen, seinen Angreifer mühelos abzuwehren und außer Gefecht zu setzen.
Der Vorfall erinnerte ihn erneut an die schändliche Aktzeichnung von Heath, die ihm wieder
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