Ein Ballnachtstraum
kühlen blauen Augen. Er fügte sich mürrisch in das Unvermeidliche und streckte seine langen Beine auf der Polsterbank aus.
„Weißt du Emma, das Witwendasein bekommt dir nicht gut. Wir sollten dich wieder verheiraten.“
„Spar dir deine guten Ratschläge“, entgegnete sie spitz und zog den Schal enger um die Schultern. „Und setz dich ordentlich hin, wenn du mit mir sprichst.“
Ohne ihrer Aufforderung Folge zu leisten, erwiderte er störrisch ihren Blick. „Welche Laus ist dir denn schon wieder über die Leber gelaufen?“
„Die Laus bist du.“
Ein dünnes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Ich hätte eigentlich gedacht, die höchst ehrenwerte Lady Lyons sähe es gerne, wenn ein Nichtsnutz wie Percy Chapman aus der Gesellschaft verbannt wird.“
„Du hast diesen Idioten gewiss nicht beinahe im Fischteich ertränkt, um der Gesellschaft einen Gefallen zu tun oder weil du ein so gutes Herz hast.“
Er tat gekränkt. „Natürlich nicht. Falls du es vergessen haben solltest, ich habe gar kein Herz, was du und der Rest der Familie ja nicht müde werdet, mir vorzuwerfen.“
„Spiel bitte nicht den Märtyrer. Du gefällst dir in der Rolle des überdrüssigen Lebemannes zu gut, um dir plötzlich eine andere anzueignen.“
„Gott behüte“, murmelte er. „Ich und ein Märtyrer.“
„Warum sie?“, fragte sie plötzlich. „Von allen jungen Frauen in London, die sich glücklich schätzen würden, deine Spiele mitzumachen, warum ausgerechnet Eloise Goodwin?“
Sein Lächeln gefror. „Wieso sie? Wieso nicht sie?“
„Sie ist ein anständiges Mädchen, Drake. Und sie hat hart dafür gekämpft, sich einen guten Ruf anzueignen in einer Gesellschaft, die persönliche Opfer weiß Gott nicht zu würdigen weiß. Ihre Familie hat sie vor sechs Jahren verstoßen, und seitdem schlägt sie sich allein durchs Leben.“
Drake stutzte. Das war mehr, als Eloise ihm anvertraut hatte. Von ihrer Familie verstoßen? Was hatte sie sich zuschulden kommen lassen? Sie machte auf ihn nicht den Eindruck, einen aufsässigen Charakter zu haben. Oder doch? „Was ist zwischen ihr und ihrer Familie vorgefallen?“, erkundigte er sich vorsichtig.
„Ich habe sie nicht danach gefragt. Ihre Referenzen sind echt, sie hat hervorragende Bewertungen. Und wage nicht, das Thema zu wechseln. Also warum? Warum hast du ausgerechnet sie ausgesucht für deine Verführungsspiele?“
Drake setzte einen gelangweilten Gesichtsausdruck auf und schwang die Beine vom Sitz. „Wer behauptet, ich will sie verführen?“
„Ach, du bist ein Teufel. Ich kann mir genau vorstellen, was heute Abend passiert ist. Percy machte ihr einen unsittlichen Antrag. Und du bist ihr zu Hilfe geeilt, da du sie bereits als dein nächstes Opfer im Visier hattest. Deshalb hast du dich in einen deiner berühmten Wutanfälle hineingesteigert und den Grünschnabel in den Fischteich getaucht, um sein erhitztes Gemüt zu kühlen.“
„So schnell kann es gehen“, erwiderte er gedehnt. „Im Handumdrehen vom Märtyrer zum Bösewicht.“
„Ausgerechnet bei diesem Ball“, fuhr Emma unbeirrt fort und verschränkte die Finger ihrer weiß behandschuhten Hände. „Dieser Percy Chapman hätte keinen Blick an eine Frau wie Eloise Goodwin verschwendet, hätte er sie nicht in Verbindung mit dir gebracht. Daraus zog er wohl den Schluss, dass sie gar nicht so tugendhaft sein kann, wie es den Anschein macht.“
Drake schwieg eine Weile. „Aber du weißt doch, wie die Leute reden. Wenn eine Frau in meiner Begleitung gesehen wird, ist ihr Ruf bereits ruiniert.“
„Ihr Ruf war bisher makellos. Ich hatte vor, ihr eine Stellung in meiner Schule anzubieten, die im Übrigen nicht mehr lange existieren wird, nachdem meine Geldgeber die Boscastle-Brüder in Aktion am Fischteich erleben mussten.“
Drake richtete sich kerzengerade auf und betonte jedes Wort einzeln. „Emma, du hast keine Ahnung, wovon du sprichst.“
„Dann kläre mich auf.“
Er sank schwer in die Polster zurück, ohne eigentlich zu wissen, wieso er sich so aufregte. „Zunächst: Eloise verteidigte nicht sich gegen Percy, sie verteidigte ihre Schutzbefohlene.“
„Thalia Thornton.“ Emma verzog schmerzlich das Gesicht. „Diese unerträglich dumme Gans. Sie kann von Glück sagen, dass sie sich Sir Thomas geangelt hat. Er scheint ein anständiger Kerl zu sein.“
„Ja. Dummerweise drohte Percy auf dem Ball damit, ein paar delikate Geheimnisse persönlicher Natur über Thalia auszuplaudern. Eloise
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