Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Band aus Wasser

Ein Band aus Wasser

Titel: Ein Band aus Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
Vom Netzwerk:
des Tees.
    Petra hatte beinahe achtzehn Jahre in Clio investiert und nun hatte sie auch noch Thais. Dies waren zwei Kinder, die sie nicht sterben oder zur dunklen Seite überwechseln sehen würde.
    Petra goss ein wenig Tee in die einfache weiße Untertasse auf dem Tisch. Sie konzentrierte sich, schloss die Augen und baute ihren Spähzauber auf, eine elegante Schicht nach der nächsten. Magie war, wie alles andere auch, eine Fertigkeit. Sie konnte gut oder schlecht angewandt werden. Es entsprach in etwa dem Unterschied zwischen einem groben dreibeinigen Melkschemel, den ein Bauer zusammengezimmert hatte, und einer auf Hochglanz polierten Bostoner Aufsatzkommode mit perfekten Proportionen, Aufbauten, die geschwungen waren wie Taubenschwänze, und Ahornholz so glatt wie Seide.
    Petra öffnete die Augen und starrte in die trübe Flüssigkeit. Schwache Rauchfäden stiegen auf, und als sie sich schließlich auflösten, sah Petra, wie Clio und Thais beieinandersaßen, die Köpfe zusammensteckten und sich ernst unterhielten. Thais griff nach ihrem Glas und trank. Im Hintergrund wucherten ein paar Pflanzen. Clio sagte irgendetwas und beide lachten.
    Es ging ihnen gut. Petra atmete tief aus und spürte, wie sich die Anspannung langsam aus ihren Knochen löste. Sie nahm die Untertasse und wollte den Tee gerade wieder in die Tasse zurückschütten, als ein anderes Bild darin Gestalt annahm, ohne dass sie danach gesucht hätte.
    Erstaunt sah Petra zu, wie sich ein hübsches Gesicht in der schlichten Schale abzeichnete, eingerahmt von welligem Haar, so schwarz wie auch die Augen.
    Ihr Herz verlangsamte sich auf drei Schläge pro Minute. Petra konnte nicht atmen, als sie die Einzelheiten des Gesichts in sich aufnahm, eines Gesichts, das sie seit 250 Jahren nicht mehr gesehen hatte.
    Das Gesicht lächelte und entblößte eine Reihe, gerader weißer Zähne. » Maman«, sagte Melita. » Comment ç a va?«

Kapitel 24
    Passierte das wirklich?
    Daedalus blieb stehen und orientierte sich. Er war schon oft hier gewesen, doch so wie der Sonnenuntergang die Gräber mit Licht besprenkelte, sah plötzlich alles anders aus. Ein großer Engel war von einem Mausoleum herabgefallen, das man ein paar Feuerwehrmännern gewidmet hatte. An der Stelle hatte er eine Abbiegung verpasst.
    Passierte das hier wirklich, nun da er sich seinem eigenen Sonnenuntergang näherte? Zumindest fühlte es sich das erste Mal so an, als wäre es möglich. Alles setzte sich zu einem stimmigen Bild zusammen, alles passierte auf einmal. Es war unglaublich aufregend und ausgesprochen erfreulich. Die ganze Treize beisammenzuhaben, Clio, die so wissensdurstig von ihm lernte … so wenig unzufrieden hatte er sich schon seit Jahrzehnten nicht mehr gefühlt.
    Ah. Daedalus blieb vor seinem Familiengrab stehen. Clio hatte ihn mit seinem Familiennamen aufgezogen beziehungsweise weil er » Planchon« nie angab. Für alle anderen war er einfach nur Daedalus. » Wie Cher«, hatte Clio mit einem impertinenten Lächeln gesagt. Schon lange hatte ihn niemand mehr geneckt. Es irritierte und amüsierte ihn gleichermaßen. Wie gewöhnlich beugte er sich zu der kleinen gusseisernen Bank hinunter, die direkt vor dem Namensschild stand. Das war ein anderes Leben gewesen, ein Leben, in dem er einen Bruder gehabt hatte. Und dieser Bruder war heimlich mit der mächtigsten, dunkelsten Hexe verheiratet gewesen, die es je gegeben hatte.
    Jetzt fügten sich genau hier 250 Jahre Geschichte zusammen. Und Daedalus saß in der ersten Reihe. Nein, eigentlich war er der Zirkusdirektor.
    Er spürte ihre Anwesenheit, noch bevor er die beinahe lautlosen Schritte auf dem herbstlich trockenen Gras vernahm. Ein Schauder durchfuhr ihn. Es war beinahe unvorstellbar, was hier passierte. Jedes einzelne kleine Härchen auf seinen Armen stellte sich auf. Er war so angespannt, dass er glaubte, seine Knochen müssten zerspringen, wenn er sich zu plötzlich erhob.
    Da war sie.
    Er wandte sich nicht ab, als sie über den Rasen auf ihn zuzuschweben schien. In den tiefen Schatten des Sonnenuntergangs sah er, wie sie eine Rose auf das Grab seines Bruders legte.
    Endlich fing er an zu sprechen. » Ich bin hier, so wie du es befohlen hast.«
    Sie drehte sich zu ihm um und war, wenn überhaupt möglich, noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Für eine Frau ihres Zeitalters war sie ungewöhnlich groß, schlank, mit dunklen Haaren und schwarzen Augen. Sie ähnelte ihrem Vater viel mehr als Petra, und Armand war ein

Weitere Kostenlose Bücher