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Ein Band aus Wasser

Ein Band aus Wasser

Titel: Ein Band aus Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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wie er den Zauber gesungen hatte, der das Auto über den Bordstein hatte springen lassen. Ich dachte daran, wie viel Angst mein Vater ausgestanden haben musste, als er sah, wie es auf ihn zugerast kam. Es musste Minuten gedauert haben, bis mein Daddy gestorben war, Minuten, in denen er an mich gedacht hatte, an meine Mom, die bei meiner Geburt gestorben war.
    Ich war nicht bei ihm gewesen. Bis sie im Krankenhaus angekommen und mich angerufen hatten, war er schon gestorben. Ich hatte keine Möglichkeit gehabt, mich von ihm zu verabschieden.
    Daedalus’ Mund öffnete sich und seine Lippen formten ein entsetztes » Nein!«, doch kein Laut kam daraus hervor. Noch immer machte ich weiter, dachte an meinen sterbenden Dad, an das Leben, das er verloren hatte. Daedalus’ Magie begann, aus ihm herauszuströmen. Ich bekam sie mit meinem Zauber zu fassen und zog daran. Er schrie, fiel zu Boden und krümmte sich vor Schmerz.
    Clio schrie » Nein, nein!« und versuchte erneut, aufzustehen. Ich streckte eine Hand aus und Clio blieb mit Händen und Füßen am Boden fixiert. Ich hatte das seit Tagen geplant, hatte auf die richtige Gelegenheit gewartet, und jetzt musste ich es durchziehen. Daedalus lag sich windend am Boden, ein gequälter, alter Mann, und ich machte immer weiter, zog die Magie aus ihm heraus, als würde ich Wolle von einem Strang lösen. Er lag in der Asche des Rings und der Staub drückte sich in sein Gesicht und seine Hände. Clio beobachtete die Szene voll ungläubigem Entsetzen, doch sie war außerstande, mich aufzuhalten.
    Ich zog noch immer. Es war entschieden anstrengender als bei der Orchidee oder dem Regenwurm. Schweißperlen traten mir auf die Stirn. Ich biss die Zähne zusammen und verspürte einen unbeschreiblichen Schmerz, während ich diese eigentlich viel zu fortgeschrittene Magie praktizierte. Daedalus’ Kraft kam mir alt, dunkel und unbekannt vor. Ich wusste, dass sie viel stärker war als alles, worüber eine normale Hexe oder ein normaler Hexer verfügte. Sie floss durch meinen Zauberstab, und weil ich nicht wusste, was ich sonst damit anfangen sollte, leitete ich sie in die Welt ab. Weiter war ich mit meinen Studien noch nicht gekommen.
    Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat. Ich hatte zehn Minuten geschätzt, aber natürlich keine Ahnung gehabt. Und nachdem ich einmal angefangen hatte, gab es keine Möglichkeit, festzustellen, wie viel Zeit vergangen war. Endlich spürte ich, wie Daedalus’ Magie weniger wurde, der Faden dünner und schwächer. Ich sah, wie sein Körper wie eine verschrumpelte Okraschote auf der Erde lag. Der letzte Rest Magie strömte sanft aus ihm heraus, Pusteblumenflaum, der sich leicht wie Luft von ihm löste.
    Ich hatte es getan. Ich hatte mich an dem Mann, der meinen Vater umgebracht hatte, gerächt.
    Der Zauber fiel unelegant in sich zusammen und ließ mich dastehen wie vom Blitz getroffen. Ich sah Clio in die Augen, sah das Grauen und die Verwirrung darin, und dann fiel auch ich auf die Knie, auf den feuchten, blätterbedeckten Boden. Die Welt drehte sich wie verrückt. Ich würgte trocken, doch mein Magen war leer. Ich fühlte mich schrecklich, wie auf einem schlechten Drogentrip. Aber es war mir auch vollkommen egal, was jetzt noch passierte.
    » Sehr gut, mein Kind«, hörte ich eine Stimme sagen. Überrascht blickte ich auf und sah, wie Carmela mit erhobenem Zauberstab aus den Wäldern trat.
    » Wer …?«, murmelte Clio genau in dem Moment, als ich » Carmela!« rief.
    » Ich dachte, du seist noch nicht bereit, aber du hast dich offenbar anders entschieden«, sagte sie mit ihrer verführerischen Stimme. » Es braucht so einiges, um mich zu überraschen, aber du hast es geschafft. Nur leider wollte ich nicht, dass du Daedalus seine Kräfte nimmst – wenigstens jetzt noch nicht. Ich brauchte ihn. Jetzt befinde ich mich in einer etwas misslichen Lage.«
    » Was machst du hier?« Meine Stimme war dünn und brüchig, und beim Sprechen hatte ich das Gefühl, mein Kopf würde explodieren. Carmela lächelte freundlich und dabei so kalt, dass eine Furcht in mir erwachte, von der ich nicht gedacht hätte, dass ich noch immer in der Lage war, sie zu spüren. Jetzt, da ich sie in dem schwachen Licht des anbrechenden Tages sah, nahmen ihre Züge eine Klarheit an, die sie in der Dunkelheit zuvor nicht gehabt hatten.
    » Melita.« Das Wort wurde fast lautlos hervorgebracht. Ruckartig richtete ich meinen Blick auf Daedalus, der Carmela hoffnungsvoll und, so fand ich,

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