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Ein Baum wächst übers Dach

Ein Baum wächst übers Dach

Titel: Ein Baum wächst übers Dach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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hatte ich einmal gelesen, daß man die Hände unter sich ziehen müsse, wenn man sich Blutergüsse ersparen wolle. Ich tat es und murmelte in die feuchten Grasbüschel unter meinem Gesicht die idiotischen Worte: «So ist das also... So also ist das!»
    Als der Hagel allmählich durch einen prasselnden Wolkenbruch abgelöst worden war, versuchte ich aufzustehen. Mein Mantel war vollgesogen und schwer wie ein Krönungsornat, die Schuhe eine breiige Masse. Ich konnte kaum die Augen offenhalten, und dabei hätte es sich gerade jetzt unbedingt gelohnt. Die Uferbäume bogen sich gequält, die Zweige und Blätter zeigten die Unterseite, dann erklang ein seltsamer, heller Pfeifton, der den Sturm übertönte, ein Stamm brach krachend, die Krone neigte sich, und die Erde erdröhnte. Mancher der alten Bäume in der Allee gab kampflos auf, neigte sich langsam, legte sich nieder und reckte einen riesenhaften, kies- und erdbedeckten Wurzelballen anklagend gen Himmel. Ich kämpfte mich, so gut es ging, vom Wege weg und noch weiter in die Wiese vor, um wenigstens nur mit den kleineren der durch die Gegend peitschenden Äste rechnen zu müssen und am Leben zu bleiben. Mir war, als würde ich durch eine Wand aus Blättern und Wasser getrieben. Staub und Kies rieselte über mich, und mein Gesicht wurde mit einer recht groben Rute geschlagen. Schrittchen um Schrittchen stemmte ich mich vorwärts und versuchte blinzelnd, etwas zu sehen! Da! Das Haus stand noch! Das Dach war oben geblieben! Als der Winddruck im Schutze der Veranda nachließ, wäre ich beinahe nach vorne gefallen. Ich durfte erwarten, daß Mama mir in gewohnter Weise entgegenkäme und fragte: «Du Ärmste! Wo hat es dich denn erwischt?»
    Es kam niemand. Leicht verstört öffnete ich die Haustür, dann die zum Wohnzimmer. Mama kauerte am Boden und versuchte mit allen Textilien, die uns geblieben waren, das waagrecht durch die Fensterritzen hereinströmende Wasser aufzutunken. Dicki stand auf der Eckbank, klammerte sich an eine Stuhllehne und rief weinend: «Das Haus taucht unter! Das Haus taucht unter!»
    Im Korridor ergoß sich ein tröpfelnder Bach von der Decke. Oben, wo Altbau und Anbau zusammenstießen, schien die Dachrinne dem Segen nicht gewachsen. Und Papa war nicht zu Hause! Ich stürzte, den Mantel fallenlassend, der wie ein Klotz zu Boden ging, ins Atelier hinauf, wo das Wasser bereits den ganzen Fußboden bedeckte und sich von oben durch die Dielen in den Speiseschrank der Küche ergoß. Besonders drollig war das Extrabrettchen, auf dem ich die gewissen Küchenkleinigkeiten auf hob. Ein Niagara flüssig gewordener Ostereierfarbe, dunkelviolett, vermischt mit Schwefelfaden und etwa einem Lot Nelkenpfeffer, kam mir entgegen. Das Dümmste war, daß alle Lappen, die dort zum Auftrocknen benutzt wurden, sofort in die Abfalltonne mußten, da sie das Dunkelviolett eigensinnig bei sich behielten und Weitergaben. Über all diesen Aufgaben horchten wir kaum noch auf das Winseln des Sturmes, unter dessen Anprall das Haus an seiner elektrischen Leitung zerrte wie ein Hund an einer zu straff gezogenen Leine. Das Dach war immer noch droben.
    Bei uns, nicht bei allen Leuten! Es gab einige Eigensinnige, die sich beim Bau ihrer Heime nicht den landesüblichen Gepflogenheiten gefügt und ihren Giebel in andere Himmelsrichtungen gelegt hatten, als nach Süden wie alle Bauernhäuser und wir. Der Sturm machte sich einen besonderen Spaß daraus, diesen Gebäuden den Hut in den Nacken zu schieben. Der Regen konnte dann von oben in aller Ruhe nachstoßen, und zwar mindestens zwei Tage lang.
    Am nächsten Morgen sehnte ich verzweifelt alle diejenigen Männer herbei, die das Kriegsende bei uns erlebt hatten. Ein einziger hätte genügt, mit mir die große Zugsäge zu bewegen und das viele umgebrochene Holz zu zerkleinern, das man jetzt für ein Butterbrot hätte kaufen können. Aber ich hätte mich gar nicht aufzuregen brauchen: im ganzen Dorf war keine überzählige Säge aufzutreiben. Wer eine hatte, war längst am Ufer tätig, wo jeder dritte der alten Bäume umgebrochen war und mit seinem Stamm den Uferweg blockierte. Im ganzen Landkreis gab es kein Obst, kein Gemüse mehr, und die Bauern mußten sich gegenseitig das davongeflogene, durcheinandergewirbelte Heu wieder abjagen.
    Wenn mir die ausgiebigen Trümmer der entwurzelten Bäume auch versagt blieben, so zerrte ich doch große Äste über die Felder, die zu zerren ich physisch imstande war. Und ich warf scheele Blicke auf die

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