Ein Baum wächst übers Dach
zehn Pfennig Gespienes!»), warf er sich aufs Brotbacken. Er ließ sich beim Schlosser, der ihn stets schon von weitem mit hochgerissenem Kinn grüßte, zwei überdimensionale Kastenformen bauen, räumte Anna den Igel und mich aus der Küche und begann auf dem Tisch ein großes Teiggemansche. Im Kneten war er besser als ich, das mußte ich ihm lassen, da er bei seiner ungewöhnlichen Länge von höher oben herunterwuchten konnte. Wir drehten Weizenkörner durch die Kaffeemühle, um den echten Grahambrot-Effekt zu erzielen. Er wurde so echt, daß Mama sich eine Plombe daran ausbiß. Papa fand, das bißchen Kaffeearoma, das von der Mühle her noch am Brot haftete, mache die Sache recht interessant. Die Teige mußten leider immer lange gehen, und wir mit ihnen, hin und her, vom Schatten in die Sonne, von der Fensterbank auf den Ofen, immer dorthin, wo es am wärmsten war.
Leo sagte später, es sei wegen meiner verzuckerten Töpfe gewesen, daß Anna der Igel, Unverständliches murmelnd, endlich kündigte. Ich schob es auf Leos Brotgemansche, und Mama meinte versöhnlich, der einsame Winter mit den beiden Tieren sei eben doch zuviel für sie gewesen. Papas einzige Reaktion war die Frage, wie lange es noch bis zum Ersten sei. Anna habe stets ausgesehen wie ein Misthaufen, in dem der Blitz gewühlt habe. Wir sahen uns über die Suppenlöffel hin erstaunt an, hatten wir doch nicht geahnt, wie sehr Papas Malerauge von Anna dem Igel beleidigt worden war.
Etwas schuldbewußt ging ich nach Tisch in die Küche und bat sie, mir doch einige ihrer Rezepte zu vermachen. Sie entnahm der kleinen Porzellandose mit der Aufschrift Sago einen abgekauten Bleistiftstummel und schrieb mit steiler gotischer Schrift einige Rezepte voller Orthographiefehler in die freigelassenen Seiten von Großmamas Kochbuch. Zwar vergaß sie nicht, Gutes Gelingen! und Guten Appetit! darunterzusetzen, aber ich empfand ihre Rezepte dennoch als irreführend. Sie gelangen nie. Dann notierte Bruder Leo das Ergebnis seiner Versuchsreihen im Brotbacken auf die nächsten Seiten, verglich seine Angaben mit denen aus früheren Jahrhunderten, schnaubte verächtlich durch die Nase, als er auf Ungenauigkeiten wie «für zwanzig Heller Hefe» stieß und mahnte mich zur Korrektheit.
Mein Ehrgeiz, die französische Rezeptsammlung durch echt bayrische Spezialitäten zu erweitern, führte mich zur alten Hubermutter, die herrliche Dampfnudeln machte. Lange Zeit stand ich neben ihr und sah sie mit unnachahmlicher Leichtigkeit der Bewegung die bemehlten Teigkügelchen auf einem Brett drehen, so daß sie hoch und glatt wurden. «Wieviel Mehl nimmst du denn, Mutter?» fragte ich ehrfürchtig.
«Mei, zwei Schaufeln scho.»
Die Auskunft war ungenau, aber ich mußte sie hinnehmen. «Und danach tust du sie in den großen Hafen da. Wieviel Milch muß denn da hinein?»
«Mei, da derfst scho hübsch oane nehma.»
In Litern oder gar, wie meine chemisch vorgebildeten Männer es wünschten, in Dezilitern war dies «hübsch oane» nicht zu übersetzen.
«Butter tust keine hin?» fragte ich.
«Doch, doch, a Butter muaß scho hi’.»
«Wieviel nimmst denn da?»
«Mei, dös kimmt drauf oo», meinte sie, und ihre Hände vollführten über den Dampfnudeln so zarte Bewegungen, daß ein Chirurg sie hätte beneiden können. Ich übersprang nun einige Punkte in der Prozedur, aber es wurde immer schwieriger.
«Net z’nah ans Feuer hi’», schärfte sie mir ein, «zerscht müssens surmsen und danach säuseln.» Ich ging nach Hause, seufzte tief, knüllte an den Teigkügelchen herum, sperrte sie in den größten Topf, den ich hatte, ließ sie erst surmsen und dann säuseln und bat unter Herzklopfen zu Tisch. Die eine Hälfte der Dampfnudeln klebte eigensinnig am Deckel und wurde mit ihm in die Höhe gerissen. Der im Topf verbliebene Rest ließ sich nur sehr schwer noch zierlich servieren.
«Sie riechen jedenfalls köstlich», sagte Mama. Sie schmeckten selbst Papa, der sich ein zweites Mal geben ließ und bemerkte, wenn ich mich nicht in letzter Minute draufgesetzt hätte, wären es recht gute Nudeln.
Bei den viel entfernteren Nachbarn, dem Hof jenseits der Wiesen vor dem Dorf, konnte ich nichts Neues profitieren. Dort führte eine alte Frau ihrem älteren Bruder die Küche und erklärte mir, bei ihr gäbe es jeden Tag Knödel in der Suppe. Ich staunte, daß sie so viel Fleisch kaufen konnte, denn ihr Bruder ging in einem von Papas ältesten Röcken aufs Feld. Doch nein, die Suppen
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