Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Baum wächst übers Dach

Ein Baum wächst übers Dach

Titel: Ein Baum wächst übers Dach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
Vom Netzwerk:
und wurde etwas unheimlich. Ich lief die Treppe hinauf, Ulf in großen Sätzen hinter mir. Er und ich legten den Kopf schief, einmal so und einmal anders, und fanden heraus, daß das Dröhnen von Papas Farbmühle auf dem obersten Boden herrührte, die ins Rütteln geraten war, weil der Sturm auf raffinierte Weise die elektrische Lichtleitung zwischen dem Nachbardach und dem Lichtmast auf unserem Giebel in Schwingungen versetzte. Anna der Igel winkte kichernd und murmelnd ab, als wir sie aufklärten.
    Der Sturm hatte die Hagelkörner ans Haus geweht, die Wegränder waren damit aufgefüllt, der Garten voller Reisig, die Veranda schwamm, für den Kiesweg zum Gartentor hätte man Stelzen gebraucht. Hinter dem Haus standen bleistiftdünne, zerwirkte Stengelchen dort, wo unsere hoffnungsvolle Tomatenplantage sich ausgebreitet hatte.
    Als eine Stunde später ein Taxi vor dem Gartentor hielt, brach die Abendsonne durch und strahlte Bruder Leo rosig an, der lachend seine Koffer durch den nassen Garten ins Haus trug. «Hier ist es ja schön zugegangen, warum konntet ihr damit denn nicht warten?» war seine Begrüßung. Zu mir sagte er: «Laß dich anschauen, ob der Schnee der Lastermetropole auf deiner Stirn bleicht. Na, es geht ja. Du bist ein ziemliches Vollweib geworden, wie ich sehe. Vielleicht heiratet dich doch einmal einer. Kannst du jetzt kochen? Back mal sofort eine Nußtorte. Wieviel Uhr haben wir denn?»
    Ich nahm diese Aufforderung viel zu ernst, schob am nächsten Tag Anna aus ihrem geheiligten Reich und verwandelte die Küche in ein Schlachtfeld. Erst als ich blasige und schief sitzengebliebene Biskuittortenböden aus dem Backofen zog, als der Weinbrandverschnitt nicht brennen wollte und sich die Praline-Füllung ohne Mörser auf der Marmorplatte des Küchentisches absolut nicht bearbeiten ließ, kam ich zu der Erkenntnis, daß die Kochbedingungen der «Académie du Cordon bleu» und die in einem Sommerhaus zweierlei sind.
    Leo sah sich mein Treiben eine Weile an. Dann griff er ein. «Das ist Blödsinn, was du da machst», sagte er, «versuch es lieber mal mit einem Kartoffelauflauf zum Abendessen.»
    Der Abend kam. Mama stieß den Vorlegelöffel mit der bei ihr obligatorischen Bemerkung: «Na, das sieht ja köstlich aus», in die Auf lauf form und teilte aus. Nach dem ersten Bissen ließ sie die Gabel sinken.
    «Aber Kinder, der ist ja kalt», rief sie erstaunt aus, «hab ich denn so gepustet?»
    «Wann ist denn der Auf lauf in den Ofen gekommen?» wollte Papa wissen.
    «Um sechs Uhr, vor einer Stunde», sagte ich nachdrücklich.
    Bruder Leo grinste von einem Ohr bis zum anderen. «Und wann hast du das Herdfeuer wirklich in Schwung gekriegt?» fragte er leise.
    Ich errötete und antwortete nicht. Auch mir war klargeworden, daß zwischen der Küche und mir noch nicht die nötige Vertrautheit herrschte.
    «Das kommt alles mit der Zeit», tröstete Mama. «Es kommt gar nichts mit der Zeit, wenn sie nicht richtig anfängt zu lernen», erklärte Leo und nahm mich am nächsten Tag mit sich hinters Haus. «Kannst du überhaupt Holz spalten und Späne machen?» fragte er. «Komm mal her, ich bring es dir bei. Also den Klotz hier nimmst du — nein, den nicht, der hat zu viele Äste, also den hier nimmst du, hältst ihn solange mit der linken Hand, mit der rechten schwingst du das Beil, so... Bist du eigentlich in der Krankenkasse? So, das war schon ganz gut, nur Mut. Nein, gegens Schienbein darfst du dir das Zeug nicht fallen lassen, da tut es ja so weh!»
    Ich war willig und fleißig und lernte. Anna murmelte und gab hohe, schrille Lachtöne von sich. Beim Milchholen jedoch sprach sie mit den Nachbarn in anerkennendem Kauderwelsch über die jungen Herrschaften. Nach wie vor lehnte sie es ab, den Tisch zu decken, murrte: «Mit dem Gschepper da hab i’s net», womit sie unser Erbsilber meinte, und so verblieb die Höhere-Töchterpflicht des Tischdeckens mir. Da ich aber nach den Radtouren, dem Dichten von Reklameversen und der Beteiligung an Preisausschreiben immer noch Zeit übrig hatte, so wollte ich Bruder Leo doch zeigen, was ich gelernt hatte. Erneut machte ich mich an die Fabrikation hausgemachter Pralinés. Mein Ausstoß an angebrannten, verzuckerten, überkrusteten Aluminiumgeschirren war groß. Leo wollte als erwachsener Mann nun auch nicht zurückstehen, und nachdem er es zunächst mit unfruchtbarer Kritik an meinen Bemühungen versucht hatte («Was soll das sein? Ein Birchermüesli? Das sieht ja aus wie für

Weitere Kostenlose Bücher