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Ein Baum wächst übers Dach

Ein Baum wächst übers Dach

Titel: Ein Baum wächst übers Dach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Wälder kaufen, bis dahin muß sie installiert sein. Weswegen schaust du so entsetzt? Wegen der Stellung? Mensch, sei doch nicht so dämlich, wo du sowieso drei Sprachen kannst — mit Bayrisch sogar vier, und in der Schule Stenographie gelernt hast! Und solange du noch hier bist und kochst, vergiß nicht, daß an die russische Kohlsuppe kurz vor dem Servieren ein bißchen saurer Rahm muß, und gib Obacht beim Probieren, daß du dich nicht bekleckerst. Bei dir steht nämlich, im Unterschied zu mir, das Vorderdeck etwas ab!»
    Ich mußte lachen, meine Mundwinkel zitterten dabei, aber das sah man nicht.
    Leo radelte zufrieden zum Wirt um einige Flaschen Bier. Er fand den Anlaß zu einem Fest hinlänglich gegeben.
    Noch ehe er zurück war, hatte ich mich entschlossen, dafür zu sorgen, daß auch die Teppichklopfbäuerin nur noch einmal wöchentlich käme. Mein Ehrgeiz war geweckt.
    Mama wollte natürlich nicht zurückstehen und tat begeistert mit, soweit ihr Herzleiden dies erlaubte. Als geborener Perfektionist stürzte ich mit allem, was in die Küche gehörte, zu ihr ins Wohnzimmer:
    «Mama, probier doch hier mal mit der Gabel, glaubst du, daß diese Spaghetti jetzt weich genug sind? Im Cordon bleu habe ich nie auf die Kochzeiten aufgepaßt, und im alten Kochbuch von Großmama steht nichts darüber.»
    «Kind, ich muß dir offen sagen, ich weiß es selber nicht. Mach ganz wie du willst!»
    Von Mama gab es im geschnitzten Kasten rechts unten im Schreibtisch ein Foto mit Hängezopf und neckischem Latzschürzchen in einem Schweizer Pensionat. Die jungen Damen trugen Kochlöffel in der Hand. Mama gestand mir, daß man dort für vierzig Personen gekocht hätte, da waren die Mengen natürlich anders, und außerdem hätte sie immer nur Petersilie gewiegt, das hätte ihr am meisten Spaß gemacht.
    Ich hatte keine Lust, noch einmal die Runde bei den in Zahlenangaben so ungenauen Bäuerinnen der Seehamer Nachbarschaft zu machen und lernte die Kochzeiten, den Blick starr auf den alten Küchenwecker geheftet, durch Experiment-Reihen, die einem Chemiker Ehre gemacht hätten. Kalte Kartoffelaufläufe kamen nicht mehr vor. Wohl aber riß ich einmal einen Auflauf aus dem Rohr und wollte ihn Mama zeigen. Dabei stolperte ich über die Wohnzimmerschwelle, fiel der Länge nach hin, die feuerfeste Form zerbrach am Boden und der Auflauf rutschte, noch immer aufgelaufen und geordnet, bis ganz hinten unter die Couch. Bruder Leo bückte sich und sah zwischen seinen riesigen Knien hindurch. «Klar ist der fertig», meinte er sachlich, «sonst behielte er ja die Form nicht.»
    Selbst der Hund Ulf war mit meiner Kochkunst zufrieden. Er wedelte anders, wenn er mich sah, und ließ erwartungsvoll die Zunge aus dem Maul hängen, wenn er mich einen Topf ergreifen sah. Ich ärgerte mich nur immer über die Art, wie er an seinen Napf heranging, leuchtenden Auges hineinschaute und dann die Schnauze bis zu den Ohren in die Brühe tauchte, so daß Reis und Gemüse zu beiden Seiten heruntertroffen. Mit dem größten Knochen im Maul trottete er auf die Wiese des Nachbarn, wo er sich gemütlich zurechtlegte, um ihn zu bekauen. Alle paar Tage mußte ich eine Razzia nach abgenagten Gebeinen veranstalten, sonst wäre beim Mähen die Sense des Nachbarn stumpf geworden und eine unserer Seehamer Beziehungen hätte sich getrübt.
    Da wir den Giftweizen wegwarfen und zu den alten, ehrlichen Mausefallen zurückkehrten, mußte ich sogar lernen, sie zu spannen und aufzustellen. Bruder Leo hatte viel zu grinsen über die Art, wie ich die Augen zukniff und den Arm weit von mir streckte, weil ich ihr Zuschlägen fürchtete. Wir konnten sie jedoch fast nicht so schnell laden, wie sie gebraucht wurden. Es schienen sich vor dem herannahenden Winter ganze Völkerstämme von Mäusen in unsere gemütlichen, warmen Blindböden zu flüchten. Nachts war es lebhaft im Hause, der Kies flog, es quietschte und trippelte. Mama, die von uns allen den leichtesten Schlaf hatte, sagte morgens beim Kaffeetrinken, nichts sei so unzutreffend wie der Ausdruck «leise wie eine Maus».
    Anfang Oktober kam der elektrische Motor. Als er zum ersten Male angestellt wurde, umstanden wir ihn alle und hörten sein Getöse bewundernd an. Selbst der Monteur bewahrte achtungsvolles Schweigen. Leo zeigte mir, wo man abstellte und wo an, und daß ich nie vergessen dürfe, die Schraube vom Steigrohr aufzumachen, und sagte dann, ich sparte ab sofort so viel Arbeit, daß ich mich nach ein wenig Heimarbeit

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