Ein Baum wächst übers Dach
gehalten hatte, zu schwinden begann.
Der alte Jackel zum Beispiel, der aussah wie Sankt Josef Nährvater, nur daß er statt der Lilien eine kurze Pfeife mit Troddelchen in der Hand hielt, lehnte sich auf seiner Bank weit vor, spuckte zwischen seine Knie und warf mir von der Seite einen verschmitzt zutraulichen Blick zu, der besagte, daß er sich zwar noch erinnern könne, mich im Kinderwagen liegen gesehen zu haben, daß ich aber seiner Meinung nach inzwischen zum Weibe erwacht sei.
«So. Aaa amal wieder do?» fragte er.
Wenn er wollte, konnte er von alten Zeiten erzählen, als Seeham noch ein verträumtes Fischerdorf gewesen war, dessen einzige Verbindung zur Welt in einer zweimal wöchentlich zur Stadt zockelnden Postchaise bestand, deren Kutscher schlief. Etwa in diesen Jahren hatte der Jackel sich ein Hochrad gekauft und war schon bei der ersten Fahrt damit in hohem Bogen in einen Staketenzaun gefallen. Er verlor keine weitere Zeit mit dem Möbel, wuchtete es im Schweiße seines Angesichts empor und warf es ins Moor, in dem es versank.
Dieser jähzornige Apostel war zugleich ein sinnlicher Genießer. «Dö kloana Schnapsstamperl heutzutag», rügte er, «die san nix. Dazumal hat ma an Schnaps aus’m Schüsserl trunken, da is er so schön weit daherkemma!»
Als der Jackel etwa siebzig war, starb sein Sohn. Um das Zimmer vermieten zu können, zog er mit seiner Schwiegertochter ins große Doppelbett. Er war sehr aufs Geld aus, der Jackel. Die Seehamer konnten nie genug darüber lachen, mit was für einem Trumm von einem Buben die Schwiegertochter nach der angemessenen Zeit niederkam. Offiziell wurde nie bekannt, in welchem Verwandtschaftsverhältnis da wer zu wem stand.
Da war doch der Hubervater anders, obwohl auch eine Legendengestalt. Er erzählte niemals etwas, er sprach überhaupt kein unnötiges Wort. Als einmal einer seiner Söhne mit Schüttelfrost und Erbrechen vom Felde heimgetragen wurde und in seiner Kammer lag, stampfte er wuchtig die Treppe hinauf, öffnete knallend die Tür und rief hinein: «Stirbst?» — «Na, no net», gab der Bub zähneklappernd Auskunft. Der Alte wuchtete die Stiege wieder hinunter. Ein Doktor wurde nicht geholt.
Es gab auch gar keinen Doktor in Seeham. Wenn jemand vom Heuboden fiel oder mit dem Gesicht in die Mistgabel, so kam der Bader, der am Sonntag vor der Kirche die Bauern rasierte. Meist machte er das Unglück erst wirklich voll, nähte Ohren und Nasen an den falschen Stellen wieder an und benutzte ungeeignete Salben. Die herrliche Natur der Seehamer aber hielt alledem stand. Erst als der Bader zu den ewigen Haarschneidern eingegangen war, kam ein Arzt ins Dorf und mit ihm neue Sitten. Er war dagegen, daß die Bäuerinnen ihre zehn bis zwölf Kinder immer auf der schwarzen Stallschürze zur Welt brachten, und äußerte tadelnd, das sei nicht steril. Ein Gerücht will wissen, daß die Bäuerinnen von Stund an schwerere Entbindungen hatten. Die gewohnte schwarze Stallschürze fehlte ihnen.
Ein Original war auch der Schmied, der seine Frau dafür verprügelte, daß sie immer wieder guter Hoffnung war. Um in Übung zu bleiben, prügelte er auch seine vielen Kinder. Abends mit dem Anbruch der Dämmerung ging er schlafen und früh um zwei Uhr stand er wieder auf. Kein Feuer konnte ausbrechen und keine Rauferei im Wirtshaus, keine Kuh kalben, niemand sterben, ohne daß der Schmied als erster zur Stelle gewesen wäre. Als die Technisierung Seehams schon weiter fortgeschritten war, überschlug er sich einmal mit dem Motorrad in der Nähe eines Hauses, dessen Blechdach gerade von seinen Söhnen repariert wurde. Es geschah ihm nichts, und er war auch nicht gekränkt, als seine wackeren Buben sich vor Lachen die Schenkel schlugen und erklärten: «Mei, dös war bärig, wie’s den Alten g’schmissen hat!»
Als der Pfarrer einem jungen Seehamer ins Gewissen redete, er möge doch das Mädchen heiraten, das von ihm in anderen Umständen sei, erwiderte er entschlossen: «Herr Pfarrer, da wart’ i no a bissei. Wenn nacha ‘s Kind stirbt, nacha bin i der Ausg’schmierte.» Das Kind starb nicht, die Ehe kam zustande und wurde nach Seehamer Begriffen eine ausgesprochen glückliche Union. Die Wirtin teilte mir mit, die zwei hausten sehr gut miteinander, er hole sich sogar an Feierabenden sein Bier selber. Sie schien darin einen Ausgleich für das Geschirrabspülen amerikanischer Ehemänner zu sehen.
Dem Simmerl vom Lenzen ging, als er barfuß zwei Ochsen vor einem Kiesfuhrwerk
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