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Ein Baum wächst übers Dach

Ein Baum wächst übers Dach

Titel: Ein Baum wächst übers Dach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Ochsenschwanz z’ruck, sag i, i iß ihn scho, sag i. So so. In Petersburg is er geboren. Eahna Breitigam. Dös is weit. — I moan allweil, a Natron kunnt aa net schod’n.»
    Große Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, als er das Aufgebot draußen vor der Gemeindekanzlei in den vergitterten Kasten hängte. Nur einige Reißzwecken rechts und links trennten Michael und mich von den behördlich geregelten Zeiten, in denen der Stier für die Kühe zu sprechen war, der Fundanzeige für einen rotweiß gestreiften Badeanzug und der Androhung der nächsten Stallkontrolle, falls jemand seine Milch schwarz verkaufe. Als wir einige Zeit zusammen in dem Kasten gehangen hatten, bekam das Papier schwärzliche Streifen vom Regen. Ehehindernisse waren keine bekannt geworden. Hochzeitshindernisse allerdings gab es genug. Ich hatte noch gar keine Übung im Heiraten und glaubte, der nächste Schritt sei das Bestellen des Myrtenkranzes. Papa meinte gelassen, die Myrte sei nicht so wichtig, aber der Lichtschalter im Klo funktioniere nicht, und wenn nun am Polterabend...
    «Sascha, ich bitte dich...!» rief Mama und drehte an ihrem Ring. Wir saßen alle im Wohnzimmer und überlegten. Die beiden Gasthäuser Seehams mit ihrem Bierdunst und ihren knallend zufallenden Türen schienen uns nicht geeignet, um eine Hochzeitsfeier darin abzuhalten, schon wegen der Schwiegereltern, die mit Bayern nicht so vertraut waren wie wir und vielleicht erschraken, wenn sie im dunklen Korridor auf einen Betrunkenen traten.
    Als wir ein Hotel in der kleinen Kreisstadt ausfindig gemacht hatten, in dem nachweislich gut gekocht wurde und das einen hübschen kleinen Saal besaß, teilten uns die für die Fahrt zur Kirche bestellten Taxis mit, sie bekämen nur noch Treibstoff für kriegswichtige Zwecke. Da sich die evangelische Kirche ebenfalls in der kleinen Kreisstadt befand, entfiel somit die kirchliche Trauung. Papa radelte zu dem gut kochenden Hotel, um den von einem befreundeten Oberförster gespendeten Rehschlegel abzuholen. Mama rief ihm nach, er möge den bereits abgelieferten Zucker für die Eisbombe nicht vergessen. Dann nahm sie zwanzig Tropfen Baldrian auf ein halbes Glas Wasser und versuchte, sich und uns davon zu überzeugen, daß man sehr wohl in einem hölzernen Sommerhaus seine einzige Tochter verheiraten könne.
    Glücklicherweise kam nun gerade Bruder Leo an. Ich versprach mir viel von seiner Gegenwart. Er grinste wie eine Zahnpastareklame. «Du mit deinen Vernunftheiraten», sagte er zärtlich herablassend, knuffte mich in den Rücken und griff dann nach dem Metermaß, um wie einst an den Wänden herumzumessen.
    «Wenn wir hier einen langen Tisch aufstellen wollen, müssen wir die ganze untere Etage ausräumen. Festtafel und so geht also nicht.»
    Papa wurde außerordentlich vergnügt, weil er nun wahrscheinlich weder einen Smoking anziehen, noch eine Rede würde halten müssen. Ich war wütend, weil die Feierlichkeit und das weiße Kleid wegfallen würden.
    Leo hatte den Rollmeter noch nicht wieder in der Gesäßtasche, da kamen einige Seehamer und richteten aus, die für meine Brautjungfern bestellten Zimmer in den diversen Bauernhöfen seien für Bombenflüchtlinge requiriert. Wir telegrafierten den Brautjungfern ab.
    «Es ist ganz einfach», sagte Bruder Leo. «Wir räumen den Anbau aus und machen dort ein kaltes Büfett. Los, halt mir mal die Leiter! Ich muß auf dem obersten Boden nachsehen, ob die Mäuse das türkische Rauchtischchen schon angefressen haben, das wäre jetzt nicht übel.»
    Unter den zur Hochzeit anreisenden Personen war nächst Michael wohl die Kochfrau als die wichtigste zu betrachten. Sie spürte das und nahm sofort doppelte Gewichtigkeit an. Die Fischmayonnaise, ein Geheimrezept des Hauses, wollte ich ihr nicht anvertrauen. Die machte ich selber. Die Fische waren, wie so oft, nicht tot, sondern nur betäubt. Als sie in den Fischkessel sollten, fanden sie es dort zu heiß, warfen den Deckel in die Küche und sprangen auf dem Fußboden herum, wobei sie das ganze Wasser verspritzten: eine Unverschämtheit, weil sie schließlich schon ausgenommen waren. Die Kochfrau schlug die Hände überm Kopf zusammen, weil das so unheimlich viel Glück bedeute, oder auch Unglück, sie wußte es nicht genau.
    Als ich gerade alle zehn Finger voller klebriger Gräten hatte, wurde von der Gemeindekanzlei heruntergeschickt: die Trauung könne nicht zur festgesetzten Zeit am Samstagvormittag stattfinden, sondern infolge besonderer

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