Ein Baum wächst übers Dach
Bestimmungen nur noch am Freitagabend gegen halb sechs. Nun waren die Schwiegereltern schon aus Bad Gastein abgereist und unterwegs zu unserem Polterabend. Mama steigerte ihre Dosis von zwanzig auf vierzig Tropfen Baldrian. Michael, telegrafisch von der Wendung der Dinge verständigt, kabelte aus Berlin: Wirst du mir je verzeihen, daß ich dich heirate stop.
Papa, der eine bestimmte Sorte Manschettenknöpfe schon seit gestern suchte, fing an zu lachen und verließ die erneut mit ernsten Gesichtern zusammentretende Familienberatung mit dem weisen Spruch: «Mit dem Kranze, mit dem Schleier macht man meist ein groß’ Geseier...» Es blieb nichts anderes übrig, als den Polterabend kurzerhand zur Hochzeitsfeier avancieren zu lassen. Einige alte Weiber schüttelten den Kopf. Wie sollte eine Ehe ausfallen, die an einem Freitagabend begonnen wurde?
Als Michael ankam, wurde er von Bruder Leo in Empfang genommen. «Grüß dich, da bist du ja. Bitte hilf mir eben mal, an der nördlichen Dachrinne ist ein Krampen locker», sagte er mit einem warmen Händedruck.
Michael legte seine städtischen Kleider ab, und die beiden Schwäger begaben sich aufs Dach. Sie hatten die gleichen Bewegungen, das gleiche Tempo, die gleiche praktische Begabung. Es war, als seien sie Brüder. Als ich vom Rosenbeet aus zu ihnen hinaufstarrte, kam das Dirndl vom Gärtner und brachte einen Strauß. «Dös g’hört für die Hochzeiterin», lispelte sie. Ich kam ruckartig zu mir, lief ins Haus und kümmerte mich um meine Garderobe.
Es war strahlendes Wetter, der See lebhaft bewegt, als die Schwiegereltern dem Wagen entstiegen, um fünf Minuten später mit ihren Gegenschwiegern wieder einzusteigen. Hätte eine von beiden Parteien noch etwas gegen die Verbindung einzuwenden gehabt, so wäre es dafür reichlich spät gewesen.
Die Wagen, die wir für die kurze Strecke innerhalb Seehams doch noch aufgetrieben hatten, waren nicht einmal blumengeschmückt. Dennoch blickten die Seehamer ihnen nach, die Kühe ließen den Unterkiefer einen Augenblick lang links oder rechts regungslos herausragen, die Hunde hoben die Nase in die Luft, die Gänse senkten den Kopf wie zum Angriff und schnatterten einige kurze Bemerkungen: Das Dorf gab seinen Segen.
Der Bürgermeister, ein prachtvoller Mann mit Händen wie Boxhandschuhe, traute uns. Er schien angesichts des Volksauflaufs von Zugereisten geziemend ergriffen. Wir erfuhren hinterher, daß er beständig fürchtete, meinen Schwiegervater mit dem für bayerische Zungen so schweren Wort «Exzellenz» anreden zu müssen. Nach den einleitenden Zeremonien hängte er sich eine seidene Schärpe um und befahl Michael und mir, einander die Hände zu reichen. Als es ihm genügend schien, sagte er: «So, jetzt dürft’s auslassen.»
Ich heftete während des feierlichen Vorganges mein Auge starr auf zwei an der Wand hängende Plakate. Das eine stellte das frierende Bettelkind von Zumbusch dar, durch dessen zerrissene Höschen der Wind pfeift, ein entsetzliches Omen für die Ehe mit einem freien Schriftsteller — und das andere rief mir mahnend entgegen: Achtet auf den Kartoffelkäfer! Ich nahm mir vor, Michael zu lieben und zu ehren und auf den Kartoffelkäfer zu achten, solange Atem in mir war.
Den Trauring bekam ich trotz mehrfacher vorheriger Proben nicht an den Finger und bat den neben mir stehenden Gemeindeschreiber (er hatte die Folgen des Ochsenschwanzes glänzend überwunden) mit leiser Stimme um etwas Seife. Der brave Mann lief spornstreichs davon und ließ dabei die Tür zu jenem Kabinett offen, in dem in Privatwohnungen sowie meist auch bei Behörden Seife zu finden ist. Ich mußte mir meinen Brautstrauß vors Gesicht halten, um nicht loszulachen. Es war ein starres, weißes Gärtnereiprodukt aus Gladiolen und Nelken, das sich auf einem Kindersarg recht gut ausgenommen hätte.
Da es mir nicht gelungen war, in diesem großen Augenblick schleierumwallt unter dem Gedröhn der Glocken zu meinem Gebieter aufzublicken, beschloß ich im stillen sofort, den Pomp bei der Silberhochzeit nachzuholen.
Die Stimmung auf der Heimfahrt war brillant, besonders als wir auf dem Feldweg zu unserem Haus nicht an einem Jauchefuhrwerk vorbeikonnten, da der Kutscher taub war.
Nach einigem Sekttrinken auf dem von Bruder Leo frisch gemähten Rasen — die paar Maulwurfshügel waren sorgfältig auseinandergeharkt worden — , nach den obligaten Gruppen- und Einzelaufnahmen, der Verlesung der Telegramme auf gewöhnlichen und auf
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