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Ein Baum wächst übers Dach

Ein Baum wächst übers Dach

Titel: Ein Baum wächst übers Dach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Schmuckformularen und einem zwanglosen Durcheinander im Anbau war der Tag zu Ende und der Segen der Eltern fällig. Es entstand eine ergriffene, erwartungsvolle Stille. Papa räusperte sich und sprach:
    «Alles war ganz ausgezeichnet. Nur die Hühnersülze hätte noch einen Schuß Essig vertragen können.»
    Am nächsten Vormittag reisten zuerst die Schwiegereltern ab, dann die Gäste und dann wir. Uns folgten auf dem Fuße alle diejenigen Möbel, die das Einlagern in München gut überstanden hatten. Was alt und schäbig war oder schien, aber angesichts der Kriegslage doch noch nicht verheizt werden sollte, wurde unter Stemmen, Drücken und Ächzen auf dem geduldigen Anbauboden untergebracht. Nur wenige Reste blieben im Möbellager in München stehen und fielen wenige Monate später den Bomben anheim, so daß wir uns über ihre Verwendung keine Gedanken mehr zu machen brauchten.
    Im obersten Schubfach der Mahagoni-Kommode, von der Bruder Leo gesagt hatte: «Schade, daß du die mitgegiftet kriegst, die paßt so schön hier an die Wand», lagen die vier auf Bezugsschein erworbenen Leintücher, die jedem jungen Haushalt zustanden. Mama war mit ihrer Zahl und Qualität nicht zufrieden und gab mir die besten aus ihrem Vorrat auch noch mit. Das erwies sich als taktischer Fehler, denn anderthalb Jahre später waren wir wieder da, minus Möbel und Leintücher, aber plus einem Sohn, genannt Dicki, der Winston Churchill ähnlich sah.
    So wie die Dinge lagen, mußten wir uns zu dritt in die noch in Seeham verbliebenen Bettücher knüllen, und von denen waren die meisten geflickt und einige in der Mitte dünn.
     
     
     

7
     
    Jung verheiratet zu sein erwies sich als eine sehr aufregende und zeitraubende Beschäftigung. Ich war eine leidlich besonnene Braut gewesen, entwickelte mich aber zu einer kopflosen Flitterwöchnerin. Ein Zuviel an Liebe wirkt sich auf die Haushaltsführung nachteilig aus. Vielleicht auch war die Wohnung, in die die Möbel aus der Elisabethstraße sich zwanglos einfügten, zu groß, so daß ich nicht mit ihr fertig wurde. Sicher ist, daß wir bei ihrer Einrichtung nicht nach der althergebrachten Reihenfolge verfuhren. Die Vorhänge hingen noch nicht, da verbrachten wir eine Nacht auf dem Teppich neben der halb ausgepackten Bücherkiste, um Thomas Manns «Königliche Hoheit» miteinander zu lesen. Michael war ein so begeisterter Zuhörer, daß die Bücherkiste auch am nächsten Tag nicht fertig ausgepackt wurde. Morgens mußte ich dann natürlich noch einmal schlafen gehen, wenn Michael in sein ihm vom Krieg beschertes Amt abgezogen war. Der stark zusammengeschrumpfte Vormittag reichte nur noch dazu aus, um die Milch und die Süßwaren auf Abschnitt A 17 abzuholen und in der Geschirrkiste nach den Vasen zu suchen, damit die uns in die neue Wohnung gespendeten Blumen endlich aus dem Putzeimer herauskamen. Kochen mußte ich schließlich auch, denn Michael benutzte sein Fahrrad dazu, um mittags heimzukommen. Wenn er mit dem Hinterrad die Etagentür hinter sich ins Schloß schob, war ich immer schon in fliegender Eile, und da ich dann das Wiegemesser für Petersilie fallen ließ, um ihn gründlich und zärtlich zu begrüßen, wurde es noch später.
    Nachmittags hätte ich ja vielleicht endlich fertig auspacken und die silbernen Leuchter putzen sollen, aber da kam ich unmöglich dazu, denn alle, die mir während meiner Bürojahre Liebes und Leides erwiesen hatten, mußten eingeladen werden, und so hatte ich beständige Teegäste. Die Wohnung war gut geheizt, vielleicht bekamen wir in unserem Hochparterre mehr Wärme ab als die über uns Wohnenden. Heißes Wasser aber gab es selten, und wenn der Hahn im Bad wirklich einmal welches spendete, stürzten Michael und ich jubelnd gleichzeitig in die Wanne, glücklich, daß der Seehamer Standesbeamte uns dazu die Erlaubnis erteilt hatte. Für zwei Bäder hätte das Wasser nicht gereicht.
    Auch die Abfalltonnen im Hof wurden fast nie mehr geleert. Ich gewöhnte mir an, unseren Müll in eine Zeitung einzuwickeln und neben der Tonne aufs Pflaster zu legen. Von den anderen Hausbewohnern sah ich niemanden, aber sie bildeten eine ungewohnte Geräuschkulisse in den Vormittagsstunden, in denen ich früher im Büro gewesen war. Auch meine Einkaufsstunden waren andere geworden, und so begegnete ich zum ersten Male den armen Wesen mit dem aufgenähten gelben Stern. Sie warfen Punkt vier Uhr einen ängstlichen Blick auf die Uhr und verschwanden wie Schatten, um nicht

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