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Ein besonderer Junge

Ein besonderer Junge

Titel: Ein besonderer Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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in der Hand, sie waren noch voller Sand. Der Asphalt brannte unter meinen Füßen, das Einzige, worauf ich beim Rennen geachtet hatte. Wie angewurzelt stand ich mitten auf der Straße und begriff kaum, was mir soeben beinahe zugestoßen wäre: Meine zitternden Knie berührten den Kühler eines Sportwagens, dessen Fahrer mich anbrüllte und beschimpfte. Den Blicken der Hotelgäste ausweichend, die auf der Terrasse bei Tisch saßen, ging ich mit weichen Knien, das Geschrei des Fahrers im Rücken, unbeirrt weiter. Als ich außer Sicht war, sank ich an einer Gartenmauer zusammen. Beinahe wäre ich gestorben   …
     
    Nach der Tragödie am Strand war ich auf die Straße gelaufen, ohne auf den Verkehr zu achten, und dabei fast vor die Stoßstange des Wagens gelaufen, der mit hoher Geschwindigkeit am Hotel vorbeifuhr. Obwohl mich meine Eltern gewarnt hatten und ich wusste, dass diese Straße in der Ferienzeit stark befahren war, hatte ich sie achtlos überquert, weil ich nur an
den blau angelaufenen Körper des kleinen Schiffbrüchigen dachte, der aus seinem roten Schlauchboot gefallen war.
     
    An der Gartenmauer sitzend, stellte ich dann mit Entsetzen fest, dass sich in der Aufregung meine Blase geleert hatte. Ein nicht zu verbergender Fleck breitete sich auf meiner kurzen Hose aus, und von den Achseln ausgehend bedeckte kalter Schweiß meinen ganzen Leib. Um keinen Blicken zu begegnen, war ich durch den Garten ins Hotel zurückgekehrt, und ich beeilte mich, unter die Dusche zu kommen, um den unerträglichen Geruch loszuwerden, den ich allmählich verbreitete.
     
    Diesen beißenden Geruch erkannte ich jetzt bei Iannis wieder, bei jedem seiner Anfälle: Es war der Geruch der Angst.

 
    Ein feierlicher Zug von Schatten verteilte sich über den ganzen Strand. Alle wollten mich besuchen. Am Rand der Mole sitzend, glaubte ich, einige Gesichter zu erkennen. Die undeutliche Gestalt eines kleinen Jungen zerriss den Nebel, kam auf mich zu und bat mich mit einem Finger auf den Lippen zu schweigen. Und plötzlich bekam ich aus heiterem Himmel eine Ohrfeige, wie ein Prankenhieb, so dass ich mir die Backe hielt. Schneidend scharfe Glimmerkörnchen, die ein jäher Windstoß mir ins Gesicht schleuderte, hatten mir die Haut aufgeschürft. Der Tanggeruch strömte über mich, wurde immer stärker, bis die Luft nicht mehr einzuatmen war.
     
    Mit Brechreiz schreckte ich in meinem Zimmer hoch. Es war dunkel. Der Übelkeit erregende Gestank, der mich geweckt hatte, breitete sich im Raum aus. Ich sprang aus dem Bett, um in Iannis’ Zimmer zu eilen, und ich meinte, gleich in Ohnmacht zu fallen, als ich die Tür öffnete. Er saß nackt in einem Knäuel aus beschmutzter Bettwäsche und bestrich sich mit einer braunen Masse. Mir fiel die Farbschicht ein,mit der er am Abend zuvor sein Bild zugedeckt hatte. Mir war übel, als ich mich ihm näherte, um dieses Elend zu beenden. Er drehte sich mir zu, stand auf und versuchte mit ausgestreckten Händen mich zu berühren. Die Vorstellung, seine schmierigen Hände tasteten über mein Gesicht, ließ mich vor Ekel aufschreien.
    Das war zu viel. Ohne Rücksicht auf sein Stöhnen packte ich ihn am Handgelenk, um ihn ins Badezimmer zu ziehen und unter die Dusche zu stecken: Unter dem Wasser, das aus dem Duschkopf spritzte, krümmte er sich, als würde man ihn mit Säure übergießen. Seine Mutter hatte recht, es war eine echte Marter für ihn, aber jetzt einen Rückzieher zu machen, kam nicht in Frage. Ich hielt ihn im Duschbecken fest, übergoss ihn mit Flüssigseife, bis die letzten Rinnsale bräunlichen Wassers vom Abfluss geschluckt waren. Da ich ihn nicht allein im Badezimmer lassen konnte und um an mir ebenfalls jede Spur zu beseitigen, entledigte ich mich meiner Unterhose und stellte mich zu ihm unter die Dusche.
    Beide nackt, das Haar am Schädel klebend und unter einem Wasserstrahl schlotternd, den zu stoppen, ich mich nicht entschließen konnte, müssen wir einen Anblick geboten haben, der pathetischer nicht hätte sein können. Keine zehn Tage zuvor schleppte ich mich noch gelangweilt durch die Flure einer Fakultät, und jetzt watete ich im kalten Wasser einer Duschwanne zusammen mit einem brüllenden, von Fäkalien verschmierten Heranwachsenden. Als Reaktion auf die Unerträglichkeit dieser Szene fühlte ich ein irres Lachen in mir aufsteigen, das mit einem Tränenausbruch endete.Zusammengesunken, schluchzend musste ich meine ganze Kraft aufbieten, um dem Wunsch zu widerstehen, aus der Dusche

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